Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Irgendwie gehört er dazu und hierher“
Während die Krise bei Kaiser’s-Tengelmann auf ganz großer Bühne zwischen Branchenriesen, Bundeskartellamt, Wirtschaftsministerium, Oberlandesgericht und Monopolkommission ausgefochten wird, trifft sie überall vor Ort die kleinen Leute: Angestellte und Kunden der Supermarktkette. Scheitern die Übernahme-Pläne durch Edeka und findet sich keine andere Lösung, droht die Zerschlagung. Dann müssen 15300 Mitarbeiter in 471 Filialen um ihre Jobs bangen. Und Menschen um die vertraute Einkaufsmöglichkeit. Auch in den neun Augsburger TengelmannMärkten ist die Zukunft ein Thema, während Schokoriegel, Milch und Äpfel weiter über’s Kassenfließband rollen, als ob nichts wäre.
Die Mitarbeiter dürfen offiziell nichts sagen und halten sich auch daran. Nur ein wenig besorgt werden die freundlichen Minen, wenn man sie auf das Thema anspricht. Viele arbeiten seit Jahren in „ihren“Filialen – ein Plus, finden Kunden wie eine 61-jährige Dame aus dem Bismarck-Viertel. Die angespannte Lage macht alle so nervös, dass auch Kunden lieber nicht mit Namen in der Zeitung stehen wollen. Aber dass sie eine eventuelle Schließung gar nicht gut fände, das sagt die Frau, die mit dem Fahrrad am späten Nachmittag Einkäufe für ihren zwei Personen-Haushalt und die 90-jährige Tante um die Ecke gleich mit erledigt: „Naja, gerade für die älteren Leute, die, solange sie noch ein paar Schritte laufen können, sich gerne selbst beim Tengelmann in der Nähe versorgen, wäre es richtig schlimm, wenn er nicht mehr da wäre. Und einige der Angestellten kenne ich seit 20 Jahren.“Ob der Tante Emma-Nachfolger nun Tengelmann, Edeka, Rewe oder sonst wie heißt, ist ihr egal.
Wie die meisten, die flexibel sind, fährt auch sie für Großeinkäufe mit dem Auto zum Discounter. Aber was unter der Woche ausgeht oder die Tante spontan braucht, das kauft sie eben gerne in der Nähe. „Es ist traurig, wenn alles nur noch um’s Geld geht, und die Großen die Klei- nen schlucken und dabei noch größer werden. Aber besser, Tengelmann wird von Edeka übernommen, als dass es hier gar keinen Markt mehr gibt.“
Als ein wichtiges Element im Viertel betrachtet auch eine junge Familienmutter den kleinen Tengelmann in der Bismarckstraße. „Wir kennen nicht nur die Kassierer, sondern treffen auch Nachbarn und Freunde hier. Wenn etwas aus ist, kann ich auch meine Kinder mal schnell hierher schicken“, sagt sie. „Ja, wenn Mama sagt, sie braucht Milch, dann sind wir ratzfatz bei Tengelmann und holen eine!“, ergänzt die siebenjährige Tochter eifrig. „Sie müssen eben über keine große Straße und geben auch ihr Taschengeld gerne hier für Süßigkeiten aus“, ergänzt die Mutter. Heute haben sie nur Pfandflaschen mit dem Einkaufstrolley zurückgebracht. Milch und Fleisch stehen sonst meist auf dem Einkaufszettel. „Früher gab es hier ja noch einen Metzger, aber das lohnt sich alles nicht mehr. Schade, denn ich finde, je mehr Vielfalt, desto besser.“
Auf Vielfalt kommt es Sarah nicht an. Allmorgendlich kauft die 14-Jährige frühmorgens vor der Schule die gleiche Flasche Multivitamin-Saft beim Tengelmann in der Jakobervorstadt und hängt noch ein bisschen mit Freunden vor dem Eingang ab. Vom Wirrwarr um den Markt und der drohenden Schließung hat sie wenig mitbekommen. „Sonst treffen wir uns halt anderswo, aber irgendwie gehört er eigentlich dazu und hierher“, überlegt sie dann. „Manchmal kauf ich auch noch was für die Pause hier, das ist schon praktisch.“Eine junge Mutter – ein Kleinkind im Wagen und ein Mädchen mit Kindergartenrucksack an der Hand – eilt vorbei. Sie hat keine Zeit, Fragen zu beantworten, und man kann sich vorstellen, wie viel weniger sie hätte, jetzt noch woanders die Brotzeit für die Kleine zu besorgen.
Auch einige Handwerker, die in der Nähe auf Baustellen arbeiten, versorgen sich mit Notwendigem und Pausenschmankerln für den Tag. „Wenn nicht mehr hier, dann halt anderswo“, sagt Klaus und sein Kollege Rolf ergänzt: „Mit dem Auto sind wir sowieso unterwegs und die da oben machen ja doch, was sie wollen, egal ob wir den Tengelmann hier brauchen oder nicht.“Mit denen da oben meint er Politiker, Wirtschaftsbosse und einfach alle, die seiner Meinung nach keinen Bezug zum Leben der Menschen in Blaumännern oder hinter Supermarktkassen haben.
Ein Arbeitsloser zuckt nur die Schultern, während er sich mit Kaffee, Brötchen und der ersten Portion an sozialen Kontakten für den Tag versorgt. Er lebt alleine. Als Ersatzfamilie würde er die Leute, denen er hier fast täglich begegnet, nicht bezeichnen, aber „ich drück vor allem denen, die hier arbeiten, die Daumen, dass es ihnen nicht bald so geht wie mir.“Katja Goslawsky kennt viele dieser Menschen persönlich.
Seit drei Jahren verkauft sie ihnen in der angegliederten Bäckereifiliale Frühstück oder Brot – gute Laune gibt’s gratis dazu. „Und ich will gar nicht hier weg. Man merkt schon, dass die Stimmung angespannt ist und viel geredet wird, wie es wohl weiter geht. Auch wir wissen ja nicht, was mit der Bäckerei wird, falls Tengelmann geht.“Allerdings schaut sie mit dem gleichen Optimismus und der Fröhlichkeit, mit der sie ihre Kunden bedient, auch auf die Krisengespräche und hofft auf eine gute Lösung oder zumindest endlich Klarheit „auch für meinen Sohn, der macht eine Ausbildung in einer anderen TengelmannFiliale, und gerade die jungen Leute brauchen doch eine Perspektive.“