Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Neu-Augsburger
Daniel ist einer von 25 618
Genau ein Jahr ist es jetzt her, dass Daniel Yanez Roig mit seiner Mutter Montserrat aus dem aufstrebenden mexikanischen Industriestandort Querétaro nach Augsburg zog. Montserrats Chef bei Airbus Helicopters Mexiko war auf die junge Quality-Program-Managerin aufmerksam geworden und unterstützte sie dabei, an einen europäischen Standort zu wechseln. „Da war für mich sofort klar, dass ich nach Augsburg will, denn ich kannte die Stadt von einem Seminar und fand sie wunderschön.“Damit hatten die Fuggerstadt und die Anbindung zu Airbus in Donauwörth immerhin Konkurrenten wie Hamburg oder Toulouse ausgestochen. Für den damals zwölfjährigen Daniel war es zunächst ein Schock, Freunde und Familie für unbestimmte Zeit zurücklassen zu sollen.
Aber auch er hatte eine Vorstellung von Deutschland und fand, wenn Ausland, dann dorthin. „Ich wusste, dass es in Deutschland viel Grün gibt, Schnee, Berge, gutes Bier und vor allem tollen Fußball.“Da Daniel sehr sportlich ist und Fußball liebt, gab das den Ausschlag. Trotzdem war die Zeit zwischen der Entscheidung, die bei Montserrat ganz schnell gefallen war, und der Abreise sehr aufregend. Nur einmal besuchten sie in diesem Dreivierteljahr für ein paar Tage Augsburg, um nicht ganz ins Ungewisse zu ziehen, und Daniel begann, bei einer Lehrerin an der österreichischen Schule in Querétaro etwas Deutsch zu lernen.
Mitte September 2015 war es dann so weit: Daniel, Montserrat und deren französischer Lebensgefährte Sebastian landeten in München und bezogen eine gemütliche Wohnung in der Augsburger Jakobervorstadt. Damit zählen sie zu den 25618 Menschen, die 2015 neu nach Augsburg kamen und – verrechnet mit Wegzügen, Geburten und Sterbefällen – die Einwohnerzahl um mehr als 5000 steigen ließen. leben gerne dort, denn es ist nah zum Zentrum, zu Cafés, Kinos, Fußballplätzen und Bademöglichkeiten. Beim ersten Treffen mit Daniel lebte er gerade mal seit sechs Wochen in Deutschland – sechs Wochen, in denen er das Gymnasium besuchte, danach jeden Tag zum Deutschkurs ging und nebenbei schon einige Freunde im Schwimmund Fußballverein gefunden hatte. Schon damals weigerte er sich konsequent, mit irgendjemandem Englisch oder Spanisch zu sprechen.
Mit etwas Geduld und sehr viel Aufgeschlossenheit, die er selbstbewusst einfach auch bei jedem Gesprächspartner voraussetzte, meisterte er alle Kommunikation auf Deutsch. Nur Fragen wie die, ob er sich jemals aufgrund von Sprachschwierigkeiten oder seines Aussehens benachteiligt oder schlecht behandelt gefühlt habe, die will Daniel auch jetzt, mit sicheren Deutschkenntnissen, noch nicht ganz verstehen. „Nein, einmal hat mich ein Betrunkener doof angemacht, aber das hätte der wohl mit jedem so gemacht, der vorbeikam. Und ganz am Anfang hat es genervt, dass manche Leute dachten, wenn man nicht gut Deutsch kann, ist man auch sonst ein bisschen doof.“
Dass er das ganz und gar nicht ist, bewies er seinen Klassenkameraden und anderen Menschen mit schlagfertigen Antworten und großem Ehrgeiz in der Schule. Für das zweite Halbjahr wechselte er in eine Übergangsklasse, nun, nach den Sommerferien, ist er zurück in einer normalen Klasse am Gymnasium.
Seine Mutter Montserrat Roig ist glücklich mit dem deutschen Bildungssystem: „Mir gefällt es sehr, wie Lerninhalte mit praktischen Erfahrungen wie Museumsbesuchen oder gemeinsamen Projekten verknüpft werden.“Daniel kann sich vorstellen, später etwas mit den vielen Sprachen, die er nun schon kann oder noch lernt, zu machen und etwa Übersetzer zu werden. Noch lieber wäre es ihm, nur Profi-Fußballer zu werden, aber er ist realistisch genug, um zu wissen, dass nicht alle Träume wahr werden. Auch in Deutschland nicht.
Daniel vermisst an Mexiko vor allem Familie und Freunde „und das Essen!“Drei Lieblingsessen muss seine Mutter deshalb oft kochen: Tacos mit grüner Sauce aus milden Chilis, Chilaquilles – Nachos mit Bohnen, Käse und Hühnchen –, und Molletes, also Brötchen mit Bohnen, Käse, Zwiebeln und Koriander. Aber auch bei drei deutschen Schmankerln läuft Daniel mittlerweile das Wasser im Mund zusammen: „Bratwurst mit Kartoffelsalat, Brezen und Krapfen.“Oft kocht die Familie für oder mit Freunden, französische Haute Cuisine von Sebastian rundet die schwäbisch-mexikanischen Tafeln ab.
Neben dem Essen sind Sport und gemeinsame Unternehmungen ein wichtiger Anknüpfungspunkt für Daniel an die neue Umgebung: „Ich finde eigentlich überall jemanden zum Fußballspielen. Meine Mutter erzählt, dass ich schon als kleiner Junge immer, wenn wir irgendwo waren und sie kurz nicht aufgepasst hat, irgendwo war und mit jemandem Ball gespielt habe. Oder ich sage einfach ,Hallo, ich komme aus einem anderen Land’ – dann fangen die Leute schon an, Fragen zu stellen und man kommt ins Gespräch.“
Zum Beispiel darüber, dass Kino in Mexiko viel billiger ist als hier und Daniel deshalb früher mehrmals die Woche ging. Das hat er gerade wieder aufleben lassen, als er in den Sommerferien für drei Wochen in der alten Heimat war und mit seinen Cousins und Freunden sämtliche neuen Filme angeschaut oder
Manche Fragen will er nicht verstehen
mit seinem Vater Fußballspiele besucht hat. Über WhatsApp oder Nachrichten im Internet steht Daniel auch weiterhin in engem Kontakt zu seinem mittelamerikanischen Herkunftsland: Er weiß, dass ein bekannter Sänger kürzlich gestorben ist und die Avocados dort zurzeit horrend teuer sind. Nachrichten aus Deutschland wie die über Ausschreitungen gegen Ausländer nimmt er wahr, macht sich aber keine Sorgen.
Auch ob er jemals wieder in Mexiko oder mal ganz woanders leben will, weiß Daniel noch nicht – noch eine dieser Fragen, bei denen er schaut, als wolle er sie nicht ganz verstehen. „Jetzt leben wir erst mal hier, ohne anderen Plan und bestimmt für viele Jahre. Augsburg ist toll. Es kommt mir sogar vor, als wären die Menschen hier noch offener und hätten mehr Respekt vor Fremden als in den ganz großen Städten wie München oder Berlin.“Vielleicht haben die Roigs es deshalb auch noch nicht geschafft, zu einem der Treffen mit den über 100 anderen Mexikanern zu gehen, die in Augsburg leben und sich etwa zu den mexikanischen Nationalfeiertagen oder dem Totentag Día de los muertos treffen? Denn für Daniel Yanez Roig ist es völlig egal, woher man kommt oder wo man lebt, solange man andere respektiert und sein Ding im Leben macht.