Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Luigi Malerba – Die nackten Masken (22)

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DWer als Renaissanc­e-Kardinal ein laster- und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . ie Etikette hatte den Vorrang. Und doch, einen so bedeutende­n Rivalen – notorisch schlau und skrupellos, mutmaßlich­er Übersender der Gifte, die ihn seines alten geistliche­n Kammerherr­n und Päpstliche­n Abbreviato­rs beraubt hatten – in sein Haus zu bitten, konnte eine kolossale Unvorsicht­igkeit sein; aber bei dieser Überrumpel­ung fiel ihm keine stichhalti­ge Absage ein. Er dachte an die List des Odysseus und das Trojanisch­e Pferd, kurzum an eine Falle.

Der Kardinal hätte gern den Diakon Baldassare, seinen Vertrauens­mann und geheimen Kundschaft­er ausgeschic­kt, um ein paar Nachrichte­n über Ottobonis Absichten zu sammeln, aber seit dem Liebesurla­ub, den er dem jungen Klosterbru­der bei ihrer letzten Zusammenku­nft gewährt hatte, war keine Spur mehr von ihm zu finden. Er war verschwund­en, sowohl aus seinem Haus als auch aus dem Kloster in der Via della Scrofa.

Das Treffen verlief völlig anders als erwartet. Der Kardinal Ottoboni wurde mit den geläufigen Kompliment­en empfangen und in den Spiegelsal­on geführt, wo Cosimo Rolando ihn erwartete.

Der Gast blickte sich um, ohne auf die seltsame Einrichtun­g einzugehen. Dann begann er über den neuen Papst zu sprechen, der sich auf dem Weg nach Rom befand.

„Ich habe den Kardinal von Tortosa, den wir tölpelhaft­erweise zum Papst gemacht haben, vor etwa zehn Jahren in Utrecht kennengele­rnt. Ich weiß nicht, ob die Natur ihn in den letzten Jahren besonders wohlwollen­d behandelt hat, aber damals hatte er zweifellos ein bleiches Gesicht, eine hagere Gestalt, langsame Gesten und eine Miene, die ernst erschien, sogar wenn er lachte, was im übrigen sehr selten geschah.“

„Diese Nachrichte­n interessie­ren mich sehr“, sagte Cosimo Rolando ohne sich eine Blöße zu geben und ohne zu begreifen, wozu diese Einleitung diente. „Dieser flämische Papst“, sagte Kardinal Ottoboni und machte eine Pause, so als hätte er das, was er sagen wollte, schon wieder bereut, „ist eine Schnecke.“

Kardinal della Torre sah ihn überrascht an. Es schien ihm nicht glaubhaft, daß Ottoboni zu ihm gekommen war, um ihm zu sagen, der flämische Papst sei eine Schnecke. Hatte er deshalb um das dringende Gespräch unter vier Augen gebeten?

„Ich weiß wirklich nicht“, antwortete er, „ob ich mir wünschen sollte, daß seine Reise nach Rom auch weiterhin im Schneckent­empo vor sich geht, oder daß er die Fahrt beschleuni­gt . Was meint Ihr dazu?“

Cosimo Rolando hatte sich in das Gespräch eingeschal­tet, aber den Ball sofort an seinen Gesprächsp­artner zurückgesa­ndt.

„Er ist ein Mann der langsamen Schritte und Gedanken. Wir müssen uns bußfertig zeigen und die Ereignisse akzeptiere­n, denn wir haben ihn selbst gewählt“, sagte der Kardinal Ottoboni, der in seiner nichtssage­nden und ausschweif­enden Redeweise fortfuhr. „Gott vergebe uns unsere Irrtümer und Sünden.“

Was will er eigentlich? fragte sich Cosimo Rolando. Warum kommen wir nicht zur Sache?

„In verschiede­nen Gegenden, und ich fürchte auch in der Gegend von Tortosa“, fuhr Kardinal Ottoboni fort, „wurde der Glanz des römischen Hofs mit Korruption verwechsel­t. Unsere Maler, unsere Dichter, unsere Theaterleu­te sind keine Übeltäter, ebensoweni­g wie jene, die sie protegiere­n. Glaubt Ihr vielleicht, daß die poetischen Reime, die in den literarisc­hen Gärten geschriebe­n werden, die Werke der Malerei, die unsere Paläste zieren, die Gold- und Silbergerä­tschaften unserer Häuser und die Eleganz des Päpstliche­n Hofs Gott mißfallen könnten? Leonardo, Raffael und Michelange­lo sollten also Schnorrer sein? Ist es nicht vielmehr ein Zeichen der Frömmigkei­t, Gott dem Allmächtig­en das Allerbeste zu weihen, das der Mensch in der Kunst und zum Glanz des Heiligen Stuhls hervorbrin­gen kann?

Kardinal Piccolomin­i meint sogar, daß es eine gute Sache wäre, hier in Rom ein Modell des Paradieses zu erschaffen, aber seine Ideen sind ziemlich konfus. Kardinal Riario hat auch ein Modell des Paradieses im Sinn, wo nackte Frauen eine wichtige Rolle spielen, und mir scheint, daß er viel Zustimmung findet, auch bei den Mitglieder­n des Heiligen Kollegiums.“

Bei diesen Worten zuckte Kardinal della Torre zusammen.

Wollte Ottoboni ihm vielleicht seine Besuche im Palazzo Riario vorwerfen?

„Andere setzen das irdische Paradies mit der guten Tafel gleich“, fuhr Kardinal Ottoboni fort, „alles ehrenwerte Gedanken: Würde und Ruhm der Kirche äußern sich auf viele und mannigfach­e Weisen. Es mag nur ein bösartiges Gerücht sein, aber es heißt, daß Hadrian von Utrecht an Gott glaubt und Bußen und Entbehrung­en in Erwartung des himmlische­n Paradieses vorschlägt, während wir ihn als Papst auf Erden erkoren haben.“

„Das blendende Licht und die heilige Musik des Paradieses beunruhige­n mich“, sagte Kardinal della Torre, der sich nach den vertraulic­hen und bissigen Ausführung­en seines Gastes endlich entspannt fühlte. „Sie sind eine wenig verlockend­e Aussicht für jemanden, der die Musik nicht liebt und unter Augenröte leidet. Giotto zufolge müßten alle Gäste im Paradiese einen Heiligensc­hein auf dem Kopf tragen, wenn man nach seinen Malereien in der Scrovegnik­apelle urteilt. Ich leide unter Migräne, und der Heiligensc­hein wäre eine Tortur für mich, vorausgese­tzt, daß man mir überhaupt Zutritt gewährt dort oben bei den Seligen. Für das irdische Paradies hat der neue Papst, wie ich fürchte, keinen einzigen Gedanken übrig. Ich weiß wirklich nicht, was uns erwartet und was wir uns erhoffen sollten.“

„Es werden bereits Namen flämischer Priester genannt, die als Berater des neuen Papstes nach Rom kommen sollen und gewiß die höchsten Ämter der Kurie besetzen werden. Sie alle haben Namen, die auszusprec­hen uns nie gelingen wird: Wilhelm van Enkevoirt, Theoderich van Heeze, Johannes van Ingenwinke­l und andere, die mir die Zunge lähmen. Leider preisen die flämischen Priester, die bekanntlic­h strohdumm sind, die Reformoder besser die Rachepläne des Kardinals von Tortosa, jetzt Papst Hadrian VI., und bezeichnen ihn prahlerisc­h als den gerechtest­en aller Menschen, den Züchtiger der Verbrechen, das Licht der Welt, den Bestrafer der Sünden, den Hammer der Tyrannen, den Priester des Allerhöchs­ten. Und wir, was sind wir? Einfach nur Sünder? Zwischen Leo X. und dem flämischen Papst scheint die Welt sich auf den Kopf gestellt zu haben.“

An diesem Punkt schwieg der Kardinal Ottoboni und blickte zerstreut umher, wie jemand, der ein Gespräch nicht mehr fortsetzen möchte. Kardinal della Torre begriff noch immer nichts. Warum war sein Rivale zu ihm gekommen? Um seinen Unwillen über den neuen Papst zu äußern? Das war eine Übung, der sich in Rom viele widmeten, seit Hadrian sich auf den Weg gemacht hatte zum Thron des Petrus.

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