Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Alles anders in Amerika
Wahl Treue Demokraten wollen für Trump stimmen. Treue Konservative wiederum können ihn nicht ausstehen. Und treue Gewerkschafter lassen Clinton fallen. Was ist nur los in den Vereinigten Staaten? Zu Besuch bei Menschen, deren Weltbild zusammengebrochen is
Die Zufahrt führt durch ein steinernes Portal und schlängelt sich über Brücken und sanfte Hügel in einen Park geschützt gelegener Filet-Grundstücke. Vom 4000-Einwohner-Dorf Sunbury ist nichts zu sehen in dieser privilegierten Anlage. Gepflegter Rasen, Stauden vor der Veranda, ein frei stehender Ofen im geräumigen Innern: So wohnt jemand, der es geschafft hat.
Der Hausherr hat sein politisches Leben lang republikanisch gewählt, seit Ronald Reagans zweiter Kür 1984. Diesmal schert John Stark aus. „Sehen Sie Donald Trump doch nur an – hören Sie ihm zu“, stöhnt der 50-Jährige. „Er ist ein Clown!“
Delaware County im Zentrum Ohios ist nicht nur der reichste Bezirk in dem umkämpften Bundesstaat. Er ist auch eine der zuverlässigsten Bastionen der Republikaner. Wenn Trump am 8. November gewinnen will, muss er hier punkten. Doch die traditionelle Wahlarithmetik wackelt: Die Unbeliebtheit der Hauptkandidaten, Trumps Unberechenbarkeit und die prekäre wirtschaftliche Lage mancher Demokraten bringen traditionelle Wählermuster ins Rutschen.
Stark empfängt im FirmenT-Shirt und mit Dreitagebart, er betreibt eine kleine Firma für Terrassenund Balkonbauten. Nicht nur Trumps Tiraden gegen den globalen Handel erfüllen ihn mit Sorge. Ihn ärgern auch nicht nur Ausfälle gegen Mexikaner, die in den USA sagt er. „Und in den vergangenen Jahren hat die Gesundheitsreform meine Abneigung verschärft.“
Vor Obamacare, wie das Prestigeprojekt des Präsidenten im Volksmund genannt wird, hatte Stark sich, seine Frau und zwei Söhne für 6000 Dollar im Jahr versichert, erzählt er. „Jetzt bezahlen wir 17 000 Dollar, und die Leistungen sind auch noch schlechter.“
Stark beschäftigt zehn Mitarbeiter. „Drei davon nehmen an einem Versicherungsplan teil, bei dem ich die Hälfte bezahle. Die meisten sind unversichert und entrichten einfach die dafür vorgesehene Strafe. Es kommt sie billiger.“Dass Versicherer beispielsweise Patienten nicht mehr wegen Vorerkrankungen ausschließen können, sagt Stark nicht. Aber die Kompromisse der Anfangsjahre haben für einige Einkommensgruppen tatsächlich zu Härten geführt und gefährden das System in manchen Regionen auch insgesamt.
Für Stark illustriert das kriselnde Gesundheitsprogramm alles, was bei der Linken schief läuft; seine Frau Dana, 48, bislang strikt demokratisch, wechselte 2012 zu Mitt Romney. „Die Demokraten scheinen zu jedem Problem eine regierungsorientierte Lösung vorzuschlagen“, sagt Stark. „Konservative sind nicht herzlos. Aber wir glauben nicht, dass jeder versorgt werden muss. Amerika bietet perfekte Bedingungen für Erfolg.“
Stark möchte für Gary Johnson stimmen, den chancenlosen ExGouverneur von New Mexico, der früher Republikaner war und heute für die kleine Partei der Libertarians antritt. Stark weiß, dass seine Entscheidung es Clinton schwerer macht, Trump zu verhindern. „Aber ich kann mir weder den einen noch die andere im Weißen Haus vorstellen. Wir werden einen von beiden abbekommen, und danach muss das Leben weitergehen.“
Hillary Clinton kann sich der Stammklientel ihrer Partei auch nicht überall sicher sein. „Wir werden eine Menge Bergbauarbeiter arbeitslos machen“, verkündete sie im März. Kein Wunder, dass die Kohgibt“, legewerkschaft United Mine Workers ihr die Unterstützung verweigert. Das Magazin Newsweek enthüllte vor Kurzem, dass Trump für prominente Bauprojekte Stahl und Aluminium aus China geordert hat. Entsprechend hält die Stahlgewerkschaft United Steelworkers Clinton offiziell noch die Stange. Doch an der Basis grummelt es – der Niedergang der einst mächtigen Industrie hat tiefere Wurzeln als Donald Trump. Die Branche beklagt einen Verlust von 19 000 Jobs durch Billigimporte, und viele sehen die Ursache dafür in Handelsabkommen, die unter anderem Hillary Clintons Ehemann unterschrieb.
Trumbull County nördlich der Stahlmetropole Youngstown gehört historisch zu den verlässlichsten Bezirken der Linken. Die Arbeiter hier haben jahrzehntelang demokratisch gewählt. Aber die alten Loyalitäten bröckeln. „Eine Menge Kollegen sehen sich von Trump besser vertreten“, sagt Stahlarbeiter Daniel Edward Moore im 5000-EinwohnerStädtchen Newton Falls. Moore hat 2008 und 2012 für Barack Obama gestimmt. Doch heute ist er enttäuscht: „Unsere Mittelschicht ist seit Jahrzehnten im Abstieg“, sagt der 57-Jährige. „Die Leute hier brauchten keine Krankenversicherung. Sie brauchten einen Job!“
Als Kandidat, sagt Moore, habe Obama versprochen, das nordamerikanische Handelsabkommen Nafta zu prüfen, das in den Neunzigern unter Präsident Bill Clinton verabschiedet wurde. Geschehen sei aber nichts. Nicht nur Moore möchte nun dem Geschäftsmann Trump eine Chance geben. Seine Frau Lisa hat 2008 Hillary Clinton unterstützt, wird diesmal aber republikanisch stimmen. Die beiden Erstwähler Ashley, 20, und Daniel Jonathan, genannt Danny, 21, ebenso.
Danny durchläuft an der Youngstown University gerade eine Ausbildung zum Kraftwerksingenieur; er findet Clintons Energiepläne utopisch. Für seine jüngste Hausarbeit über Trumps Pluspunkte hat er eine Eins erhalten – von einem liberalen Professor, wie er betont. Seinem Vater hat er Trumps Bestseller „The Art of the Deal“geschenkt.
Der Senior ist beeindruckt: „Ich bin enthusiastisch, weil Trump die Wahrheit sagt, und das ist das Kennzeichen eines guten Anführers. Ich will jemanden im Weißen Haus, der keine schlechten Handelsabkommen unterschreibt. Als Geschäftsmann versteht Trump die Bedeutung einer starken Mittelschicht. Er wird für Schuldenabbau kämpfen und unsere Gesellschaft auf Produktion ausrichten.“
Moore findet nicht nur Trumps Pläne überzeugend, die Körperschaftssteuer zu senken und Strafzölle für Unternehmen einzuführen, die außerhalb des Landes produzieren. „Auch seine außenpolitischen Ansichten sind stimmig“, sagt der Mann. „Obamas Politik scheitert jeden Tag mehr.“
Moores Stahlwerk in Pennsylvania gehört zum russischen NLMKKonzern. Er hätte nichts dagegen, wenn Trumps viel beschworene Nähe zu Kreml-Chef Wladimir Putin das Verständnis zwischen den beiden Nationen beförderte. Auch Trumps Kritik an der Nato sei berechtigt, sagt der Air-Force-Veteran. „Wir können nicht für alle bezahlen.“Über Beleidigungen gegen ehemalige Kriegsgefangene wie den republikanischen Senator John McCain sieht Moore hinweg. „So ist Trump halt. Sein Team wird ihn einfangen.“
Auch Junior Danny findet nicht, dass Trumps Stil Grenzen überschreitet. Die Bemerkung, dass Immigranten