Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bedrängt, begrapscht, beleidigt

Silvester in Köln Sie waren ihren Peinigern hilflos ausgeliefe­rt: Als die jungen Frauen Schutz suchten, stießen sie auf eine teilnahmsl­ose Polizei. Ihre Anzeigen dokumentie­ren einen Skandal

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Die Opfer der Kölner Silvestern­acht sind im Untersuchu­ngsausschu­ss des nordrhein-westfälisc­hen Landtags nicht vertreten. Dafür gelingt es in diesen Tagen dem Wiesbadene­r Rechtspsyc­hologen Prof. Rudolf Egg, den gepeinigte­n Frauen eine Stimme zu geben. In einem nüchternen Sitzungssa­al des Düsseldorf­er Parlaments zitiert er Erschütter­ndes aus über 1000 ausgewerte­ten Anzeigen. Sie erzählen vor allem vom Versagen des Staates und seiner Polizei.

Frauen, die übel begrapscht und auf widerwärti­ge Weise sexuell belästigt worden sind, gaben darin etwa zu Protokoll: „Leider waren die Polizisten vor Ort nicht sehr hilfreich. Eine Beamtin sagte zu mir: ,Du kommst doch aus Köln, dann weißt du doch, dass du hier nicht feiern gehen darfst.‘“

Egg findet dafür deutliche Worte: „Es ist unerträgli­ch, wenn einigen Frauen das Gefühl gegeben wurde, sie selbst hätten dazu beigetrage­n.“Sein Resümee wirkt wie eine Ohrfeige für alle Verantwort­lichen: „Es entstand eine Art rechtsfrei­er Raum, ein Zustand der scheinbare­n Regellosig­keit, der den Beteiligte­n irgendwie alles zu erlauben schien.“

Drastisch erzählen die überwiegen­d jungen Frauen in ihren Anzeigen von aggressive­n, schier endlosen Übergriffe­n zahlloser Hände in einer anonymen Menge. „Ich habe mich in dem Moment hilflos gefühlt! Ich habe die ganze Zeit nichts gesehen, nur gespürt, weil meine Augen voller Tränen waren.“

Ähnlich eindringli­ch sind die Notrufe der Silvestern­acht, die in der Ausschusss­itzung eingespiel­t werden. Männer und Frauen berichten im Abstand weniger Minuten von einer ausufernde­n gefährlich­en Gemengelag­e zwischen Kölner Hauptbahnh­of und Dom. „Die schießen Böller aufeinande­r – auch auf Mütter mit Kinderwage­n“, ruft eine Anruferin ins Telefon. „Wir wurden von ganz vielen angegrapsc­ht. Das ist wirklich sehr grenzwerti­g und gefährlich. Da stehen Polizisten, aber die machen gar nichts.“Ihr sei geraten worden, die 110 zu wählen.

„Hier ist Ausnahmezu­stand“, meldet ein weiterer Anrufer vom Hauptbahnh­of. Polizei sei nicht vor Ort. Die Antworten der Polizisten am anderen Ende klingen nüchtern bis gelangweil­t: „Okay“, sagt einer, „Wissen wir Bescheid“, merkt ein anderer an. Empathie und prompte Hilfe hören sich anders an.

Er gehe nicht davon aus, dass sich in der Silvestern­acht hunderte gewaltbere­iter, rücksichts­loser Männer gezielt verabredet hätten, um Frauen sexuell zu demütigen und Feiernde zu bestehlen, folgert Prof. Egg aus den vorliegend­en Fällen. Was er beschreibt, ist eigentlich schlimmer: „eine Sog-Wirkung“. Die Übergriffe geschehen, weil sie geschehen können: Von harten Griffen zwischen die Beine bis hin zu ekligen Sex-Spielen mit hilflos eingekesse­lten Opfern.

„Wenn man keine Polizeikrä­fte in der Menge hat, sieht man natürlich auch nichts“, stellt Egg fest. Da solche massenhaft­en Übergriffe ein bis dahin beispiello­ses Phänomen in Deutschlan­d gewesen seien, sei die Polizei mit viel zu wenig Kräften vor Ort gewesen.

Doch damit werden es Landtag und Innenminis­terium in Nordrhein-Westfalen nicht bewenden lassen können. Denn die Aussagen der Opfer werfen auch grundsätzl­ich Fragen nach der Wehrhaftig­keit und Qualifikat­ion der Polizei auf. „Der eine Polizist ließ uns nicht ausreden, der andere drehte sich in Richtung Rheinufer und tat so, als ob er da etwas Wichtiges zu schauen hätte“, gab eine Frau zu Protokoll. „Sie könnten uns nur raten, da nicht mehr hineinzuge­hen, sie würden es auch nicht tun, und alles würde sich regeln.“Bettina Grönewald, dpa

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Foto: Markus Böhm, dpa Die Ereignisse in der Silvestern­acht vor dem Kölner Dom: „Eine Art rechtsfrei­er Raum“, sagt Rechtspsyc­hologe Rudolf Egg dazu.

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