Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Türkei wird systematische Folter vorgeworfen
Bericht Menschenrechtler belegen Fälle schwerer Misshandlungen. „Blankoscheck für Gewalt“
Seit der Verhängung des Ausnahmezustands in der Türkei soll die türkische Polizei nach Angaben von Human Rights Watch systematisch Gefangene foltern. Die Menschenrechtsorganisation legte eine Dokumentation mit 13 beispielhaften Fällen vor, in denen seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli inhaftierte Menschen durch Schläge, sexuellen Missbrauch, Schlafentzug und andere Formen der Gewalt gefoltert worden seien.
Die Organisation warf der türkischen Regierung vor, sie habe mit dem Notstand Schutzmaßnahmen gegen Folter ausgehebelt. Etwa dürfen Verdächtige 30 statt vier Tage in Polizeigewahrsam festgehalten werden, bis sie einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Der Kontakt zu einem Anwalt darf ihnen bis zu fünf Tagen verwehrt werden. Der Verteidiger könne zudem nicht immer frei gewählt werden und auch das Recht auf vertrauliche Anwaltsgespräche sei eingeschränkt.
Die Regierung stelle den Behörden damit einen „Blankoscheck“aus, um „Inhaftierte zu foltern und zu misshandeln wie sie wollen“, sagte der Europa-Chef von Human Rights Watch, Hugh Williamson.
Die Organisation dokumentiert in ihrem Bericht Foltervorwürfe in Polizeigewahrsam in der Hauptstadt Ankara, in Istanbul, Urfa und Antalya. In mehreren Fällen habe die Polizei offenbar Geständnisse erpressen wollen. Einige Insassen seien wegen des Vorwurfs der Gülen-Unterstützung festgenommen worden, andere wegen mutmaßlicher Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, andere seien linke Regierungskritiker.
Die Menschenrechtler berufen sich dabei auf Aussagen ehemaliger Häftlinge, Anwälte und Ärzte. Ein Insasse in Istanbul berichtete demnach seinem Anwalt: „Sie rissen mir die Kleider vom Leib und zerrissen sie. Sie drohten mir, während sie meine Sexualorgane quetschten, und schlugen mich auf widerwärtige Weise.“Ein Lehrer in Antalya sei so brutal misshandelt worden, dass ein Stück des Darms entfernt werden musste, heißt es in dem Bericht. In anderen Fällen seien Ärzte gezwungen worden, Berichte zu unterschreiben, in denen Folter und Misshandlung vertuscht worden seien. Bereits Ende Juli hatte Amnesty International Foltervorwürfe gegen die türkische Polizei erhoben.
Die Linken-Bundestagsfraktion warf der Bundesregierung angesichts der Vorwürfe Tatenlosigkeit vor und forderte eine sofortige Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.