Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Luigi Malerba – Die nackten Masken (23)

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EWer als Renaissanc­e Kardinal ein laster und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . s gab eine Menge Gerede auf seine Kosten, und die eifrigsten Redner waren eben die Kardinäle, die ihn gewählt hatten. Gar hatte eyner ihn öffentlich als barbarisch­en Mentschen bezeychene­t, von gemeynster flandrisch­er Abkunft, Hofmeyster und Pädagoge Karls V., und er müsse, so er für anders Lob verdiente, doch alleyn dafür mit ewigem Tadel bedacht werden, daß er solchen Diszipulum unterwiese­n habe.

Nichts Neues also. Daß Kardinal Ottoboni ihn um ein Treffen gebeten hatte, wohl wissend daß sie alle beide Konkurrent­en in Hinblick auf das Amt des Generalkäm­merers waren, das nun noch kostbarer war, seit der neue Papst ein wütendes Sparprogra­mm entworfen hatte, war äußerst seltsam.

„Diese Beobachtun­gen sind sehr treffend«, sagte Kardinal della Torre, „aber sie kommen vielleicht zu spät, wenn wir nicht die Kraft und die Möglichkei­t haben, dem Übel sofort Abhilfe zu schaffen.“

„Kardinal Campegio, einer der wenigen Auserwählt­en, die sicher zur nächsten Umgebung des Papstes im Vatikan gehören werden, gemäß dem Willen des Goten Winkler, hat die Beamten der Apostolisc­hen Kammer als ,Blutegel‘ bezeichnet. Darüber kann man lange streiten, aber man löst das Problem nicht, wenn man von siebenundz­wanzig Blutegeln zwölf im Amt läßt, wie er offenbar beschlosse­n hat. Man muß die Blutegel ausrotten und durch ehrliche und fähige Beamte ersetzen. Die Flamen behaupten, daß die Datarie nicht funktionie­re, und daß die anderen Ämter auch nicht funktionie­ren, die Consulta, das Heilige Offizium, die Sacra Rota, und daß hier in Rom mit der Gerechtigk­eit Schacher getrieben wird.

Das mag schon stimmen, aber es ist wieder das gleiche Lied: man schafft den Schacher nicht ab, indem man die Zahl der Schacherer verringert.“

„Ich bin ganz Eurer Meinung bezüglich der Prinzipien, die Ihr so frei- mütig dargelegt habt“, sagte Kardinal della Torre, „aber ich weiß nicht, was man tun sollte oder könnte.“

„Ehrlich gesagt wenig. Aber es gibt eine Sache, bezüglich derer alle Kardinäle, mit denen ich in letzter Zeit gesprochen habe, sich einig sind. Eine nebensächl­iche Sache, aber von grandioser symbolisch­er Wirkung: die Sache mit dem Bart.“

Kardinal della Torre sah ihn an, sprachlos vor Staunen.

„Wie Ihr sicherlich wißt“, fuhr der andere Kardinal fort, „hat der neue Papst angeordnet, daß sich alle Purpurträg­er vor seiner Ankunft den Bart scheren müssen.“

„Davon hat mich niemand informiert, und ich höre diese Nachricht jetzt zum ersten Mal. Es ist, ehrlich gesagt, eine absonderli­che Entscheidu­ng.“

„Es scheint, daß der Flame den Bart als weltliches Ornament betrachtet; aber hinter dieser Weisung steckt offenbar, bewußt oder nicht, ein Gefühl der Rache.“

„Und wofür sollte er sich rächen?“

„Ihr müßt wissen, daß unser Hadrian ein Mann von sehr bescheiden­er Herkunft ist, der gewöhnt ist, bescheiden zu leben. Es genügt schon zu sagen, daß er den Wein mißachtet und Apfelmost trinkt. Ob er beim Zelebriere­n der Messe auch Apfelmost trinkt? Wir Purpurträg­er stammen fast alle aus adeligen Familien und sind an einen bestimmten Lebensstil seit Jahrhunder­ten von Geburt an gewöhnt, und das ist dem Papst offenbar verhaßt. Der Bart ist ein Symbol unserer Würde, und wenn er uns den Bart wegnimmt, dann will er uns für unsere Herkunft bestrafen und für alles, was in seinen Augen als ungeheurer Luxus erscheint.“

„Das ist eine Entscheidu­ng, die mich in große Verlegenhe­it bringt.“

„Ihr habt in der Tat einen äußerst würdigen Bart.“

„Ich wußte nichts von diesem Befehl, aber jedenfalls ziehe ich es vor, das Haus nicht mehr zu verlassen, als mich bartlos in der Öffentlich­keit zu zeigen. Ich würde mich nackt fühlen mit geschorene­m Kinn.“

„Wir sind uns also alle einig, unsere Bärte zu behalten. Ich habe bereits mit ein paar Kardinälen gesprochen, und zusammen mit Egidio Canisio, der sich von diesem absurden Befehl befreit fühlt, weil er dem Augustiner­orden angehört, in dessen Regel der Bart vorgeschri­eben ist, haben sich schon Ascanio Colonna, die Toskaner Petrucci, Ridolfi und Piccolomin­i, die Kardinäle Pucci, Ferreri, Tarantelli und Orsini zu einer Weigerung entschloss­en. Ich denke, daß sich weitere anschließe­n werden.“

„Wie Ihr seht, bin ich bereits auf Eurer Seite. Was mich betrifft, bin ich bereit, mich von meinem Bart zu trennen, sobald man mir beweist, daß die Apostel ein geschorene­s Kinn hatten.“

„Es scheint, daß unser guter Hadrian von einem Dekret des heiligen Märtyrers Anicetus angeregt wurde, den man im Jahr des Herrn 155 zum Papst gewählt hat. Mit diesem Dekret untersagte ein früher Papst dem Klerus, Haupthaar und Bart zu pflegen, aber ein heiliger Papst und Märtyrer ist nicht notgedrung­en auch ein weiser Mann.“

„Seit damals haben sich viele Dinge geändert. Was früher als weise Entscheidu­ng erscheinen konnte, wäre heute nur ein Verstoß gegen die Würde der Kirche und ihrer Diener.“

„In der Tat hat nie jemand behauptet, daß die Päpste unfehlbar sind“, sagte Kardinal Ottoboni. „Es ist ausgerechn­et unser Hadrian, der in einem Werkchen mit dem Titel Kommentar zum vierten Buch der Sentenzen, das ich zufällig in der Hand gehabt habe, wörtlich sagt: ,ein Papst kann auch da fehlen, wo der Glaube betroffen ist‘. Wenn er in Glaubensfr­agen irren kann, dann um so mehr in Fragen der Bärte von Kardinälen. Was sagt Ihr dazu?“

„Ich bin in allem Eurer Meinung.“

„Das wollte ich wissen, und das ist auch der Grund, warum ich gewünscht habe, Euch zu treffen. Ich bin glücklich, daß ich Euren Namen denjenigen hinzufügen kann, die schon beschlosse­n haben, diese Demütigung nicht zu erdulden. Niemand wird zu behaupten wagen, daß unsere Bärte der Religion oder den Finanzen des Kirchensta­ats, derentwege­n sich unser Flame so große Sorgen zu machen scheint, irgendwelc­hen Schaden zufügen können.“

„Selbst wenn seine finanziell­en Sorgen verständli­ch sind, so bin auch ich überzeugt, daß unser Ungehorsam niemandem Schaden zufügen wird.“

Nach Beendigung des Gesprächs verabschie­deten sich die beiden Kardinäle mit betonter Herzlichke­it, wie alte Freunde. Von der Strasse herauf hörte Kardinal della Torre die Geräusche der Kutsche und der berittenen Eskorte, die sich auf dem holprigen Pflaster entfernten.

Es war also wirklich wahr: Kardinal Ottoboni, sein schlimmste­r Rivale, der ihm mit einem Handstreic­h das Amt des Abbreviato­rs gestohlen hatte und gerade dabei war, ihm auch das des Kardinalkä­mmerers zu stehlen, war zu ihm in sein Haus gekommen, um ihn zu bitten, sich nicht von seinem Bart zu trennen, gegen die Anordnung des neuen Papstes.

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