Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Angst ist ganz natürlich
Interview Bald ist Halloween. Capito hat mit einem Experten gesprochen, der sich mit dem Gruseln auskennt
„Fürchtest du dich?“Viele finden es uncool, auf so eine Frage mit „Ja!“zu antworten. Dabei ist es ganz normal, sich zu fürchten. Zum Beispiel, wenn man an Halloween gruselig verkleidete Leute sieht. Doch wovor genau haben Menschen überhaupt Angst? Warum lassen sich viele trotzdem gern erschrecken, etwa in der Geisterbahn? Diese Fragen haben wir dem Experten Mathias Clasen gestellt. Mathias Clasen: Besonders groß ist die Angst vor Dingen, die möglicherweise unser Leben in Gefahr bringen könnten. Schlangen, tiefe Gewässer, Wesen mit scharfen Zähnen – und vor allem vor der Dunkelheit. Dabei fürchten Menschen nicht das Dunkel selbst, sondern das, was sich möglicherweise darin verstecken könnte.
Mathias Clasen: Manche Ängste entstehen in der Kindheit, etwa wenn wir sehen, wie unsere Eltern sich vor einer Sache besonders erschrecken. Andere Ängste, die sogenannten Urängste, liegen uns in den Genen. Dunkelheit gehört auch dazu. Unsere Vorfahren mussten beispielsweise befürchten, aus dem Dunkeln von gefährlichen Tieren angegriffen zu werden. Mathias Clasen: Trotzdem stellen sie unsere Urängste dar, in übertriebener Form. So haben die meisten Monster lange, spitze Zähne, genauso wie Tiere in der Urzeit. Und natürlich lauern sie gerne im Dunkeln. Diese Elemente machen sich zum Beispiel Horrorfilme zunutze. Mathias Clasen: Menschen nutzen Horrorfilme oder Bücher, um zu lernen, wie es sich anfühlt, sich zu fürchten. So lernen sie ihre Schmerzgrenze kennen. Im normalen Alltag gibt es ja eigentlich keine wirklichen Gruselmomente. Wenn einem dann doch mal etwas Gruseliges passiert, zum Beispiel ein Stromausfall, ist man viel besser vorbereitet. Mathias Clasen: Definitiv. Auch wenn manche Dinge sehr gruselig sind, weiß man in der Regel tief im Inneren ja, dass man sicher ist. Das hat etwas mit Kontrolle zu tun. Man selbst geht ja in die Geisterbahn, schlägt das Buch auf oder schaltet den Film ein. Einen Albtraum hingegen mag niemand. Den können wir nämlich nicht kontrollieren – und ihn dementsprechend auch nicht so einfach verlassen. Mathias Clasen: Dazu gibt es nur sehr wenig Forschung. Trotzdem ist es eine sehr spannende Frage. Ich vermute, dass es mit der Schadenfreude zu tun haben könnte. Ich als Vater erschrecke auch meine Kinder sehr gerne. Nur warum – das muss ich noch herausfinden.