Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ja, Augsburg will sanieren
Meinung Ein Bürgerentscheid war angestrengt worden über das marode Theater. Doch die erforderlichen Stimmen kommen wohl nicht zusammen. Eine Betrachtung der Lage
Unter Stirnrunzeln sind Vorgänge in der Stadt Augsburg nach dem 1. April 2016 wahrgenommen worden. Über die deutsche Theaterszene hinaus erreichten sie Debatten lokaler kulturpolitischer Zirkel; und sie erregten die Bevölkerung, die die deutsche Bühnenlandschaft weiterhin auch als einen notwendigen Verhandlungsort gesellschaftspolitischer Fragen begreift.
Was war geschehen? Eine kleine Gruppe Kulturschaffender hatte an jenem 1. April ein lokales Bürgerbegehren angestrengt, um einen Bürgerentscheid darüber zu erzwingen, ob das marode und brandgefährdete Dreispartentheater Augsburgs über eine Neuverschuldung der Stadt saniert werden solle – oder nicht. Das war singulär, das war ein Präzedenzfall. Über den Neubau kultureller Institutionen hatte es in Deutschland gewiss schon die eine oder andere lokale Auseinandersetzung gegeben. Nicht aber gab es den angestrebten Versuch einer Sanierungsverhinderung durch Stadteinwohner selbst. Darauf nämlich wäre es praktisch hinausgelaufen: ohne Neuverschuldung keine Sanierung.
Der Vorgang, eingeleitet unter dem Namensdeckmäntelchen „Initiative Kulturelle Stadtentwicklung“, war also entschieden neu – und stand in krassem Gegensatz zu jenen Fällen speziell der neuen Bundesländer, wo sich Bürger aus Überzeugung und Bedarf politisch nachdrücklich für ihr Theater einsetzten. Auch die Staatsregierung erkannte für die drittgrößte Stadt Bayerns Bedarf und verbürgte sich, bei den angesetzten Sanierungskosten von knapp 200 Millionen Euro mehr als die Hälfte tragen zu wollen.
Dann wurden Unterschriften gesammelt, über ein halbes Jahr lang, so lange gesammelt, bis zwangsläufig die Frage auftauchen musste: Wie lange eigentlich darf ein angestrebtes Bürgerbegehren die Politik bremsen, lahmlegen?
Nun aber ist gezählt worden, genau und prüfend gezählt worden, weil nicht jeder Augsburger stimmberechtigt ist – zum Beispiel auch haltslage über Neuverschuldung finanziert?“Ausgeklammert, so die Juristen, seien in der Begründung für das Bürgerbegehren wesentliche Zusatzinformationen, um die Gesamtproblematik beurteilen zu können – wie etwa der Umstand des Staatszuschusses sowie die Gegebenheit, dass das denkmalgeschützte Theater sowieso für einen hohen Millionenbetrag zu erhalten bleibt.
Als all das gestern an die Öffentlichkeit drang, dürfte manchem Augsburger, auch manchem Augsburger Politiker, ein großer Stein vom Herzen gefallen sein. Zum einen, weil sich nun aller Wahrscheinlichkeit nach eine kleine Gruppe von Bürgern mit ihrer Stimmungsmache lokal nicht durchsetzen konnte – obwohl bis zum morgigen Donnerstag noch Stimmen nachgereicht werden dürfen. Folgendes fiel ja vehement auf Augsburg insgesamt zurück: Dass jeglicher Kunst- und Kulturverlust zwar allenthalben beklagt, aber gleichzeitig vor Ort von Querschießenden gefördert wird.
Zum Zweiten aber wird nun wohl nicht passieren, dass über so etwas Empfindliches wie Kunst und Kultur ein Mehrheitsbeschluss gefällt wird. Solch eine Entscheidung wäre genauso fatal wie eine vergleichbare Entscheidung in der Rechtsprechung oder in medizinisch-existenziellen Fragen. Es ist von Vorteil, wenn ausgebildete Experten Verantwortung bei speziellen Dingen übernehmen.
Einer aus der Gruppe der Sanierungsgegner war einst Direktor der Augsburger Staats- und Stadtbibliothek. Wie hätte er wohl reagiert, wenn zu seiner Dienstzeit ein Bürdiesen gerentscheid darüber angestrebt worden wäre, ob der Erhalt des Bibliotheksbestands über viele Jahre hinweg viele Millionen kosten darf? Wie wohl würde in solchem Fall eine Einwohnerschaft über den Wert von Wiegendrucken abstimmen? Und wie würde sie abstimmen über den Wert eines Schwimmbads, eines Botanischen Gartens? Man möchte sich dergleichen nicht vorstellen. Noch ist die Gesellschaft eine Solidargemeinschaft. Vielleicht/hoffentlich sind dies die Gründe, warum sich ausreichend viele Bürger nicht vor den Karren der „Initiative“haben spannen lassen. Auch: die Ahnung, das Wissen, dass das Theater assistiert bei jeglicher Bildung des Menschen.
Einer, der gestern fraglos ein Stein vom Herzen fiel, war Juliane Votteler, die langjährige, 2017 scheidende Intendantin des Theaters Augsburg: „Auf jeden Fall sind wir vorerst eine große Last los. Mich jedenfalls hat es sehr bedrückt, dass sich das Theater immer weniger auf angemessene Art und Weise um die Kunst kümmern konnte – und das Thema Theater stattdessen immer nur in den Zusammenhang mit Geld und Sanierungsfinanzierung gestellt wurde. Überdies war die Kulturszene Augsburgs in sich gespalten und gelähmt.“
Am morgigen Donnerstag hat der Augsburger Stadtrat mutmaßlich das letzte Wort über das Bürgerbegehren. Bis dahin will die „Initiative“weitersammeln. Doch dürfte kein Weg zum Bürgerentscheid führen. Andernfalls könnte es zu einem erheblichen Verlust der Bedeutung Augsburgs kommen.