Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wo ist nur der Weltschmerz geblieben?
The Cure Wer die Band heute live erlebt, erfährt etwas über die Vergangenheit des Pop – und die Probleme der Gegenwart
Da ist sie immer noch, diese Stimme, ungebrochen. Auch 40 Jahre nachdem ihr Träger aus der britischen Provinz aufbrach, um eine Ikone zu werden durch die personifizierte Antwort auf die ewige Frage: Was war zuerst da, die Melancholie oder die Pop-Musik? Mit Robert Smith trat damals 17-jährig ein Ausnahmetalent auf, das die Kluft fasslich werden ließ zwischen dem Ich und der Welt in den EchoRäumen eines Jugendzimmers.
Es waren die späten Siebziger und frühen Achtziger, ohnehin die Zeit des Goldrauschs im Pop, weil sich eine unendliche Stilvielfalt eröffnete und sich im einsetzenden Massenmarkt der Identitäten neue Szenen gründeten, mit eigenen DressCodes und Ikonen. Darunter: The Cure, mit ihrem Kern Robert Smith – ganz in Schwarz, geschminkt, toupiertes Haar, Gott des Wave. Und noch genauso, wenn auch zwanzig Kilo runder, steht er auch an diesem Montagabend auf der Bühne der Münchner Olympiahalle, mit dem großem Versprechen: Mögen die über 12000 Fans inzwischen auch kaum noch ihrer Ikone ähneln, sondern dem ganz normalen Leben zugehörig sein – die Größe der gemeinsamen, tief empfundenen Vergangenheit lebt fort in den Hymnen des Weltschmerzes. Und mag der Pop der Masse auch längst nur noch Turbokapitalismus und Effektspektakel sein – hier herrscht die zeitlose Erhabenheit des Stils. Oder?
Nein. Denn dieser mal wieder drei Stunden lange Abend ist anders. Der charakteristische Synthesizer bleibt bis nahe an die Unhörbarkeit heruntergedimmt; dafür sind die Gitarren wuchtig, zieht das Schlagzeug das Tempo fortwährend an, zerrt der tiefergelegte Bass noch mehr am Nervenkostüm. Und so wirken die ja ohnehin auch optisch außer Smith sehr disparaten The Cure (zwischen Rentner-Rockgitarrist, wirbelndem Punk-Bassist und Jazz-Keyboarder) viel mehr wie Urväter des Art-Rock statt Götter des Wave. Zwar sind außer „Love Cats“unter den 30 Songs praktisch alle Hits von einst. Aber die meisten, wie „Friday I’m in Love“, „Boys Don’t Cry“und „Close To You“, kommen gedrängt und wie pflichtschuldig angehängt. Ansonsten geht es vom frühen „Pictures of You“bis zu „Bloodflowers“so zur Sache, dass die wuchtige Auswahl aus „Shake Dog Shake“, „Burn“und „A Forest“im ersten der drei Zugabenblöcke zum Höhepunkt wird.
Steter Tiefpunkt dagegen ist die Anti-Show, die statt erhabener Verweigerung des Spektakels ein geschmackloses Minimum bietet: Auf den Video-Leinwänden hinter der Band meist Naturaufnahmen in der Qualität eines Bildschirmschoners, ein reines Durchknallen des Programms, in dem Robert Smith für die allermeisten im weiten Oval so ungreifbar bleibt wie auf den lächerlichen Fisheye-Bildern von der Bühne auf den Seitenmonitoren.
So aber kommen The Cure weder in der nostalgiewarmen Vergangenheit noch in der wirkungsbetonten Gegenwart an. Wäre nicht diese zeitlos bezaubernde Stimme, dieser jedes Weltschmerzes und jeder Stille beraubte Pop wäre mausetot. Und wenn sich daraus eines für den Pop von heute lernen lässt, dann, dass er sich mehr denn je entscheiden muss, was er ist und sein will. Eine Indifferenz wie die von The Cure 2016 verzeihen die Fans nur Ikonen.