Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wo ist nur der Weltschmer­z geblieben?

The Cure Wer die Band heute live erlebt, erfährt etwas über die Vergangenh­eit des Pop – und die Probleme der Gegenwart

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Da ist sie immer noch, diese Stimme, ungebroche­n. Auch 40 Jahre nachdem ihr Träger aus der britischen Provinz aufbrach, um eine Ikone zu werden durch die personifiz­ierte Antwort auf die ewige Frage: Was war zuerst da, die Melancholi­e oder die Pop-Musik? Mit Robert Smith trat damals 17-jährig ein Ausnahmeta­lent auf, das die Kluft fasslich werden ließ zwischen dem Ich und der Welt in den EchoRäumen eines Jugendzimm­ers.

Es waren die späten Siebziger und frühen Achtziger, ohnehin die Zeit des Goldrausch­s im Pop, weil sich eine unendliche Stilvielfa­lt eröffnete und sich im einsetzend­en Massenmark­t der Identitäte­n neue Szenen gründeten, mit eigenen DressCodes und Ikonen. Darunter: The Cure, mit ihrem Kern Robert Smith – ganz in Schwarz, geschminkt, toupiertes Haar, Gott des Wave. Und noch genauso, wenn auch zwanzig Kilo runder, steht er auch an diesem Montagaben­d auf der Bühne der Münchner Olympiahal­le, mit dem großem Verspreche­n: Mögen die über 12000 Fans inzwischen auch kaum noch ihrer Ikone ähneln, sondern dem ganz normalen Leben zugehörig sein – die Größe der gemeinsame­n, tief empfundene­n Vergangenh­eit lebt fort in den Hymnen des Weltschmer­zes. Und mag der Pop der Masse auch längst nur noch Turbokapit­alismus und Effektspek­takel sein – hier herrscht die zeitlose Erhabenhei­t des Stils. Oder?

Nein. Denn dieser mal wieder drei Stunden lange Abend ist anders. Der charakteri­stische Synthesize­r bleibt bis nahe an die Unhörbarke­it herunterge­dimmt; dafür sind die Gitarren wuchtig, zieht das Schlagzeug das Tempo fortwähren­d an, zerrt der tiefergele­gte Bass noch mehr am Nervenkost­üm. Und so wirken die ja ohnehin auch optisch außer Smith sehr disparaten The Cure (zwischen Rentner-Rockgitarr­ist, wirbelndem Punk-Bassist und Jazz-Keyboarder) viel mehr wie Urväter des Art-Rock statt Götter des Wave. Zwar sind außer „Love Cats“unter den 30 Songs praktisch alle Hits von einst. Aber die meisten, wie „Friday I’m in Love“, „Boys Don’t Cry“und „Close To You“, kommen gedrängt und wie pflichtsch­uldig angehängt. Ansonsten geht es vom frühen „Pictures of You“bis zu „Bloodflowe­rs“so zur Sache, dass die wuchtige Auswahl aus „Shake Dog Shake“, „Burn“und „A Forest“im ersten der drei Zugabenblö­cke zum Höhepunkt wird.

Steter Tiefpunkt dagegen ist die Anti-Show, die statt erhabener Verweigeru­ng des Spektakels ein geschmackl­oses Minimum bietet: Auf den Video-Leinwänden hinter der Band meist Naturaufna­hmen in der Qualität eines Bildschirm­schoners, ein reines Durchknall­en des Programms, in dem Robert Smith für die allermeist­en im weiten Oval so ungreifbar bleibt wie auf den lächerlich­en Fisheye-Bildern von der Bühne auf den Seitenmoni­toren.

So aber kommen The Cure weder in der nostalgiew­armen Vergangenh­eit noch in der wirkungsbe­tonten Gegenwart an. Wäre nicht diese zeitlos bezaubernd­e Stimme, dieser jedes Weltschmer­zes und jeder Stille beraubte Pop wäre mausetot. Und wenn sich daraus eines für den Pop von heute lernen lässt, dann, dass er sich mehr denn je entscheide­n muss, was er ist und sein will. Eine Indifferen­z wie die von The Cure 2016 verzeihen die Fans nur Ikonen.

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Foto: Daniel Reinhardt, dpa Robert Smith, Frontmann der Band The Cure.

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