Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Navigationsmeister des Himmels
Tiere Millionen Zugvögel legen zum Überwintern tausende Kilometer in den Süden zurück. Warum viele von ihnen am liebsten nachts fliegen und sie auch ohne GPS am Ziel ankommen
Alljährlich fliegen im Herbst etwa eine halbe Milliarde Zugvögel über Deutschland. Ihr Ziel: die warmen Überwinterungsquartiere im Süden. Die Routen nach Afrika und ans Mittelmeer bergen viele Gefahren für die Tiere. Und die Reise werde immer beschwerlicher, sagen Experten. Doch warum machen sich Kranich, Mauersegler und Co. trotzdem auf den weiten Weg? Und wie schaffen es einige Zugtiere, Jahr für Jahr sogar exakt denselben Ort anzusteuern, obwohl dieser mehrere tausend Kilometer entfernt liegt?
Markus Erlwein vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) sagt: „Der Grund für das Zugverhalten ist das mangelnde Nahrungsangebot.“Bei den meisten Zugvögeln handelt es sich seinen Worten zufolge um Insektenfresser. „Im Winter finden sie hier keine und verlassen ihre Brutstätten in Mittel- und Nordeuropa. Vögel, die sich auch von Körnern und Samen ernähren, blieben dagegen eher hier – etwa Meisen.“
Zugvögel lassen sich dem Fachmann zufolge in drei Gruppen einteilen: Lang-, Mittel- und Kurzstreckenzieher. Zu ersteren zählen etwa Kuckuck und Storch. Ihr Ziel ist der Süden Afrikas. Störche legen teilweise Strecken von bis zu 20 000 Kilometer zurück. Nicht ganz so weit fliegen Mittelstreckenzieher, zu denen einige Drosselarten zählen. Sie überwintern an der Küste Nordafrikas oder im europäischen Mittelmeerraum. Kurzstreckenzieher wie der Hausrotschwanz treibt es teilweise nur über die Alpen.
Doch woher wissen die Tiere, wann und wohin sie fliegen müssen? „Das ist genetisch festgelegt“, erläutert Erlwein. Abflugzeit und Route sind in der DNA der Vögel gespeichert. Die Informationen werden weitervererbt. „Ist die Zeit des Abflugs gekommen, befällt sie eine Art innere Unruhe und sie wissen instinktiv, in welche Richtung sie müssen“, sagt Erlwein.
Flugrouten können sich aber auch ändern: So werden etwa immer häufiger Mönchsgrasmücken beobachtet, die wegen des milden Klimas am Ärmelkanal statt am Mittelmeer überwintern. „Bei Kurzstreckenziehern kommt es auch vor, dass sie ganz hierbleiben, je nach Wetter und Nahrungsangebot.“Ein Beispiel hierfür ist der Star.
Zudem gibt es einheimische Vögel, die nur vermeintlich hier überwintern: der Buchfink etwa. „Meist kommen Buchfinken, die man im Winter in Bayern sieht, nicht von hier, sondern aus Skandinavien oder Russland“, sagt Erlwein.
Zum Navigieren nutzen die Tiere einen Sinn, mit dem sie die Magnetfelder der Erde wahrnehmen. „Sie können ihre Position exakt bestimNahrung men, auch wenn der Himmel beispielsweise bedeckt ist“, sagt LBVOrnithologe Thomas Rödl, „zudem orientieren sie sich an Landmarken wie Flüssen und Bergen sowie an den Sternen“. Aber auch die Hitze am Tag ist ein Grund, warum viele Zugvögel nachts fliegen. „So schützen sie sich beispielsweise beim Flug über die Wüste davor, zu viel Wasser zu verlieren.“
Der Weg ist für die Vögel kräftezehrend und gefährlich. Ein Problem ist laut Rödl etwa, dass die Tiere immer weniger Nahrung bei uns finden und sich daher nicht ausreichend Energiepolster anfressen können. Hinzu komme die illegale Wilderei im Mittelmeerraum.
Um Kräfte zu sparen, haben die Tiere spezielle Techniken entwickelt: Gänse fliegen etwa in Keilformation, um den Luftwiderstand gering zu halten. „Viele Zugvögel schlafen zudem jeweils nur mit einer Gehirnhälfte im Flug“, sagt Rödl.