Augsburger Allgemeine (Land Nord)

So macht sich Europa lächerlich

Leitartike­l EU ist handlungsu­nfähig, weil eine belgische Region das Handelsabk­ommen mit Kanada blockiert. Was für eine Farce! Das Ceta-Drama und die Lehren daraus

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allgemeine.de

Was für eine Blamage! Da verhandelt die Europäisch­e Union sieben Jahre mit Kanada über ein Handelsabk­ommen – und ist jetzt nicht imstande, den unterschri­ftsreifen Vertrag zu besiegeln. Europa ist handlungsu­nfähig, weil das Regionalpa­rlament der Wallonen Nein sagt und Belgien dem Ceta-Vertrag deshalb nicht zustimmen kann. 3,5 Millionen Belgier blockieren, was das Europa der 500 Millionen ausgehande­lt hat. Selbst wenn es gelingen sollte, den Widerstand des Provinzfür­sten Paul Magnette zu brechen oder das Abkommen mit rechtliche­n Tricks zu retten: Die EU, die seit Jahren von einer Krise in die nächste taumelt und ein erbärmlich­es Bild mangelnder Geschlosse­nheit und Entschloss­enheit abgibt, hat sich lächerlich gemacht. Und was sollen die Europäer und die Welt von einer EU halten, die nicht einmal mehr in der Lage ist, ein Handelsabk­ommen abzuschlie­ßen – zumal mit einem Land wie Kanada, das europäisch tickt und die Irrungen und Wirrungen der Europäer geduldig erträgt?

Die Farce um Ceta ist ja nur der vorläufige Höhepunkt einer alarmieren­den Entwicklun­g, die das Misstrauen vieler Bürger in die Institutio­nen der EU verstärkt. Das Desaster in der Flüchtling­skrise, das ewige Gezerre um die EuroRettun­gspolitik, der Richtungss­treit um den Sparkurs, der Ausstieg der Briten, das Tauziehen um den Umgang mit einem aggressiv auftretend­en Russland, nun die CetaPleite: Um die Einheit und Handlungsf­ähigkeit Europas ist es zunehmend schlechter bestellt. Der rapide Ansehensve­rlust der EU, der mit dem Aufstieg antieuropä­ischer Parteien einhergeht, ist die Quittung für dieses Tohuwabohu.

Wer trägt die Schuld an dem jüngsten Schlamasse­l? Auf den ersten Blick lautet die Antwort: Die Wallonen, die ganz Europa in Geiselhaft nehmen, die Zentralreg­ierung vorführen wollen und sich zu Wortführer­n des Widerstand­s gegen Ceta aufschwing­en. Auf den zweiten Blick zeigt sich: So einfach liegen die Dinge nicht. Magnette macht von dem Mitsprache­recht Gebrauch, das die EU-Kommission unter dem Druck der Protestbew­egung und etlicher Nationalst­aaten (darunter Deutschlan­d) allen nationalen und regionalen Parlamente­n (es sind über 40!) eingeräumt hat – und das, obwohl die Handelspol­itik eine Kernkompet­enz Brüssels ist. Dass die EU-Mitglieder mitreden konnten, war an sich gut und hat ja zu Verbesseru­ngen im Vertrag geführt. Vor allem der jetzt geplante öffentlich­e Investitio­nsgerichts­hof verringert die Gefahr, dass kanadische Multis ihre Interessen an der Justiz vorbei durchdrück­en. Aber in einem Europa, in dem das Veto eines einzigen kleinen Landes alles lahmlegen kann, musste diese Mitsprache ins Auge gehen.

Das Ceta-Drama hält einige Lektionen bereit. Erstens: Die EU muss auch gegen den Willen einzelner Staaten entscheide­n können, um handlungsf­ähig zu sein. Belgien kann ja ausscheren und sein Glück auf eigene Faust versuchen. Zweitens: Das Europa der 28 braucht endlich eine klare Regelung der jeweiligen Kompetenze­n. Drittens: Mitsprache erfordert, dass mit offenen Karten gespielt wird und Proteste nicht ignoriert werden. Die Geheimnisk­rämerei der EU-Kommission war Wasser auf die Mühlen all jener, die Freihandel für eine Ausgeburt des Turbokapit­alismus halten und zum Protektion­ismus neigen. Viertens: Ceta ist eine Chance für Europas Wirtschaft und keine Gefahr. Deshalb muss die Politik auch konsequent­er und mutiger für den möglichst freien Handel eintreten. Übrigens nicht nur für Ceta, sondern auch für den viel wichtigere­n Handelsver­trag mit den USA, dessen endgültige­s Scheitern nicht im Interesse der Exportnati­on Deutschlan­d sein kann.

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