Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was geschah in der Hölle von Höxter?

Kriminalit­ät Die Opfer wurden getreten, angekettet, verbrüht. Zwei Frauen starben. Nun urteilt ein Gericht über eines der grausamste­n Verbrechen der vergangene­n Jahre. Zum Auftakt spart die Staatsanwa­ltschaft nicht mit Details. Wie die Angeklagte­n reagier

- VON CHRISTIAN ALTHOFF

Mittwochmo­rgen, 9.05 Uhr, Landgerich­t Paderborn, Saal 205. Wilfried W., 46, macht keine Anstalten, sich zu setzen. Während sich seine frühere Frau Angelika, 47, am hinteren Ende der Anklageban­k ganz klein macht und ihr Gesicht hinter einem roten Aktendecke­l versteckt, scheint er die Aufmerksam­keit zu genießen.

Minutenlan­g steht er zwischen seinen Verteidige­rn Detlev Binder und Carsten Ernst und blickt mit wachen Augen, die ab und zu blinzeln, in die unzählbare­n Kameras. Er hat sich im Gefängnis einen Vollbart wachsen lassen, und zumindest äußerlich haben ihm die sechs Monate Untersuchu­ngshaft nicht zugesetzt.

Als ihm ein RTL-Reporter ein Mikrofon entgegenst­reckt, scheint es für einen Moment so, als wolle Wilfried W. die Chance für den großen Auftritt nutzen. Doch Anwalt Binder sieht die Gefahr und schiebt das Mikrofon schnell zur Seite. In einer ihrer vielen Vernehmung­en bei der Kripo hat Angelika W. einmal gesagt, Wilfried brauche Aufmerksam­keit und könne böse werden, wenn er sie nicht bekommt.

Aufmerksam­keit – sie ist ihm in den kommenden Monaten sicher, wenn in diesem Gerichtssa­al im ostwestfäl­ischen Paderborn einer der grausigste­n Kriminalfä­lle der vergangene­n Jahre in Deutschlan­d aufgeklärt werden soll.

Der Vorsitzend­e Richter Bernd Emminghaus beendet schließlic­h den Auftritt des Angeklagte­n im Scheinwerf­erlicht und eröffnet den Prozess. Als die Kameras ausgeschal­tet sind, lässt Angelika W. den Aktendecke­l sinken. Zum Vorschein kommt ihr markantes Gesicht. Ihre helle Haut wird von dunklen, langen Haaren und einem dünnen Pony umrahmt. Ihre Augen scheinen nach Wilfried W. zu suchen. Doch in diesem Moment spricht der Vorsitzend­e Richter Angelika W. an und fragt ihre Personalie­n ab. Sie antwortet mit kaum hörbarer Stimme, und Wilfried W. tut es ihr gleich. Dann hat Oberstaats­anwalt Ralf Meyer das Wort.

20 Minuten lang hastet er mit monotoner Stimme durch die 15 ent- scheidende­n Seiten der Anklagesch­rift, als wolle er so die Schrecken weniger schlimm erscheinen lassen. „Planvoll und grausam“sollen die Angeklagte­n Frauen mit Kontaktanz­eigen in ihr Haus in Höxter-Bosseborn gelockt haben, um sie „zu Leibeigene­n“zu machen, sie „systematis­ch zu quälen und zu misshandel­n“.

Meyer geht davon aus, dass es beide Angeklagte gemeinsam waren, die ihre Opfer folterten. Vor dem Prozessauf­takt hat Wilfried W.s Verteidige­r noch betont, sein Mandant bestehe darauf, nicht die treibende Kraft hinter den Misshandlu­ngen gewesen zu sein. Wer von den beiden früheren Eheleuten diese Rolle tatsächlic­h hatte, das muss die Strafkamme­r nun klären. Bei einem Schuldspru­ch droht dem Ex-Paar lebenslang­e Haft.

Im voll besetzten Saal hören die Menschen gestern, wie die Opfer nach Überzeugun­g der Ermittler hinter den Wänden des etwas schäbigen Hauses leiden mussten. Sie hören, dass der einschlägi­g vorbestraf­te Wilfried W. seiner dritten Ehefrau Annika W. Glutamat ins Essen mischte, damit die Gelenke der Allergiker­in schwollen. Dass die Frau gewürgt und getreten wurde. Dass sie nur gefesselt und angekettet schlafen durfte. Dass sie mit 70 Grad heißem Wasser verbrüht wurde, dass sie einmal gefesselt in der Badewanne lag und das Wasser einlief, bis es über ihr stand und sie bewusstlos wurde.

Die Zuschauer erfahren, dass eine andere Frau, Susanne F. aus Bad Gandershei­m in Niedersach­sen, von der Angeklagte­n mit einem Halstuch bis zur Bewusstlos­igkeit gedrosselt wurde. Dass Angelika W. der Frau die Haare mit einem Bunsenbren­ner und einem Schürhaken versengte und ihr die restlichen Haare in Büscheln ausriss.

Sie hören, dass diese beiden Opfer die Misshandlu­ngen nicht überlebt haben. Anders als eine Frau aus Detmold, die Wilfried W. in ihrer eigenen Wohnung eingesperr­t und wochenlang unter Medikament­e gesetzt haben soll. „Beibringun­g durch Gift“nennt Oberstaats­anwalt Meyer diese Taten. Andere Frauen soll das mutmaßlich­e Täterduo um größere Geldmengen gebracht haben. Die Staatsanwa­ltschaft geht insgesamt von mindestens acht Opfern aus. Die Ermittlung­en dazu sind noch nicht beendet.

Die Angeklagte­n lassen keine Regung erkennen, als sie die Vorwürfe hören. Sie sind ihnen nicht neu, und viele Passagen der Anklagesch­rift gründen auf den Aussagen, die Angelika W. in den letzten Monaten bei der Mordkommis­sion gemacht hat. Während der Oberstaats­anwalt spricht, schaut Angelika W. zu ihm hinüber, oder sie blickt lange in den Zuschauerr­aum, als suche sie ein bekanntes Gesicht. Ein-, zweimal scheint es, als wolle sie auch einen Blick auf Wilfried W. erhaschen, doch das ist schwer. Zwischen den beiden sitzen eine Justizbeam­tin und ein Justizbeam­ter auf der Anklageban­k.

Diese Trennung hat das Gericht veranlasst, weil es die Gefahr sieht, Wilfried W. könne die Frau wieder unter seine Kontrolle bringen. Die Befürchtun­g scheint begründet, denn aus dem Umfeld der Angeklagte­n ist zu hören, sie liebe Wilfried W. noch immer. Er sei ihr erster und einziger Mann gewesen, und vielleicht habe das dazu beigetrage­n, dass sie so lange seine Misshandlu­ngen ertragen habe und Komplizin geworden sei, sagt ihr Anwalt Peter Wüller später.

Als der Oberstaats­anwalt fertig ist, wendet sich der Vorsitzend­e Richter an die Angeklagte­n. Vom „Horror-Haus“habe man in den letzten Monaten lesen können, vom „Folter-Paar“und von der „Höxter-Hexe“, sagt Bernd Emminghaus. „Das alles spielt für das Gericht aber überhaupt keine Rolle. Für uns ist nur das wichtig, was hier im Gerichtssa­al gesagt wird.“

Schließlic­h möchte der Richter noch wissen, ob die Angeklagte­n an den kommenden Verhandlun­gstagen aussagen werden. Wilfried W. werde schweigen, sagt dessen Anwalt Binder. Aber Verteidige­r Peter Wüller verspricht, dass seine Mandantin alles umfassend schildern werde – vielleicht schon am 16. November, wenn der Prozess fortgesetz­t wird. „Meine Mandantin hat Taten eingeräumt, die weit über das hinausging­en, was anfänglich Gegenstand der Ermittlung­en war“, sagt Wüller.

Dann will sich das Gericht auch mit Binders Antrag befassen, der den Gutachter Michael Osterheide­r als „inkompeten­t“ablehnt. Osterheide­r sieht Wilfried W. als „Idealtyp eines Hangtäters“, was zusätzlich zu einer Sicherungs­verwahrung führen könnte. Das wäre für den 46 Jahre alten Wilfried W. die Höchststra­fe.

 ?? Foto: Marcel Kusch, dpa ?? Seit gestern wird die „Hölle von Höxter“vor Gericht aufgearbei­tet. Und es scheint, als wolle der Mitangekla­gte Wilfried W. (Zweiter von rechts) den Prozessauf­takt für einen großen Auftritt nutzen.
Foto: Marcel Kusch, dpa Seit gestern wird die „Hölle von Höxter“vor Gericht aufgearbei­tet. Und es scheint, als wolle der Mitangekla­gte Wilfried W. (Zweiter von rechts) den Prozessauf­takt für einen großen Auftritt nutzen.

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