Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Beim Müll läuft vieles falsch“

Interview Die Grünen-Politikeri­n Bärbel Höhn prangert an, dass fast die Hälfte des getrennten Verpackung­sabfalls in der Verbrennun­g landet. Macht da Mülltrennu­ng überhaupt noch Sinn?

-

Frau Höhn, Sie haben als Vorsitzend­e des Umweltauss­chusses im Bundestag enthüllt, dass in Deutschlan­d 44 Prozent des Verpackung­smülls aus der Gelben Tonne nicht recycelt werden, sondern in der Müllverbre­nnung landen. Nun fühlen sich viele Verbrauche­r verschauke­lt und fragen sich, welchen Sinn macht Mülltrennu­ng überhaupt?

Natürlich macht die Mülltrennu­ng Sinn. Wir müssen sie nur anders organisier­en. Die Abfalltren­nung und Wiederverw­ertung funktionie­rt bei Papier und Glas sehr gut. Die Verbrauche­r wissen genau, was in den Glascontai­ner oder in die Papiertonn­e gehört. Das Problem sind Plastik-Kunststoff­e, die einen großen Anteil des Mülls ausmachen. Hier führt das System der Gelben Tonne und des Grünen Punkts auch nach Jahrzehnte­n noch zu Irritation­en. Fast die Hälfte des Mülls landet in der falschen Tonne. Viel sinnvoller wäre ein System mit einer einheitlic­hen Wertstofft­onne, in der Plastik- und Metallabfä­lle gesammelt werden. Die Verbrauche­r kriegen das ohne Aufwand hin, wie bei Glas und Papier.

Aber warum wird getrennter Müll wieder zum Restmüll gekippt und verbrannt? Sind die Verbrauche­r schuld?

Nein, das hat meist finanziell­e Gründe. Momentan bieten die Müllverbre­nnungsanla­gen den Abfallents­orgern niedrige Preise, weil es Überkapazi­täten gibt. Zum Beispiel stehen in Nordrhein-Westfalen die Anlagen vieler Recycling-Unternehme­n still. Das Recyceln von Plastik zu neuem Kunststoff erscheint im Vergleich zu den Verbrennun­gskosten zu teuer. Deshalb setzt man auf die sogenannte thermische Verwertung. Aber das ist der falsche Weg, wenn wir unsere natürliche­n Ressourcen schonen wollen.

Ist diese thermische Verwertung in der Müllverbre­nnung nicht ebenfalls sinnvoll, wenn dadurch Strom und Heizungsen­ergie erzeugt und andere Brennstoff­e eingespart werden?

Nein. Es ist viel nachhaltig­er, wenn Kunststoff­e auch als Kunststoff­e wiederverw­ertet werden. Wenn aus altem Plastik hochwertig­es neues Plastik wird. Damit spart man deutlich mehr Ressourcen und Energie, wenn die Materialie­n nicht mehr durchlöche­rt. Heute können viele Verbrauche­r nicht mehr unterschei­den, ob eine Pfandflasc­he Mehroder Einweg ist. Am umweltfreu­ndlichsten sind Mehrwegfla­schen. Aber deren Anteil ist dramatisch eingebroch­en. Das müssen wir ändern.

Aber durch das Pfandsyste­m werden die Plastikfla­schen bei der Rücknahme sortenrein getrennt und können wiederverw­ertet werden …

Das Problem ist, dass der Anteil einer hochwertig­en Wiederverw­ertung, bei der aus Plastikmül­l wirklich marktfähig­e Produkte gemacht werden, nur bei rund 20 Prozent liegt. Das ist viel zu wenig. Wir brauchen deutlich höhere Quoten.

SPD-Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks hat im Sommer den Plan aufgegeben, eine einheitlic­he Wertstofft­onne einzuführe­n …

Ich finde das sehr enttäusche­nd. Die Ministerin hätte dafür sorgen müssen, den für die Wiederverw­ertung besten Weg einzuschla­gen. Die Wertstofft­onne würde zu einer höheren Qualität beim Recycling führen. Wir sehen, dass dieses System bei Papier und Glas funktionie­rt. Warum soll man also nicht eine gut funktionie­rende einfache Idee auch auf Metalle und Plastik ausweiten? Letztlich wurde nur noch über die Frage gestritten, wer mit Müll Geld verdienen kann – Kommunen oder private Entsorgung­sunternehm­en.

Manche Städte und Kreise setzten auf die Gelbe Tonne, andere auf Wertstoffh­öfe. Welches System ist besser?

Grundsätzl­ich sind getrennte Tonnen vor Ort eher im Vorteil, weil sie bequemer für die Verbrauche­r sind. Aber es gibt Wertstoffh­öfe, die sehr gut trennen und damit eine hochwertig­ere Verwertung ermögliche­n. Deshalb kann man nicht pauschal sagen, welches System überlegen ist. Es hat viel damit zu tun, wie gut die Verbrauche­r informiert sind und wie hinterher mit dem getrennten Müll umgegangen wird.

Kann man sich beim Wertstoffh­of eher darauf verlassen, dass der Müll nicht wieder zusammenge­mischt wird?

Ich kann nicht für jede Kommune die Hand ins Feuer legen. Aber eine Kommune, die einen sauber getrennten Wertstoffh­of betreibt, würde ihre Glaubwürdi­gkeit aufs Spiel setzen, wenn sie die Abfälle am Ende zusammensc­hüttet.

Wer ist am Ende für das Mülldilemm­a verantwort­lich, die Politik oder die Verbrauche­r?

Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Wenn die Politik deutlich macht, wie wichtig ihr das Thema Recycling und Abfallverm­eidung ist, und klare Vorgaben macht, führt das automatisc­h dazu, dass die Verbrauche­r hier wieder ein stärkeres Bewusstsei­n entwickeln. Da waren wir schon weiter. Wir denken, wir wären Weltmeiste­r bei der Müllpoliti­k. Das stimmt nicht. Wir bewegen uns hier sogar im unteren Drittel der Industries­taaten. Das können wir besser und wir erwarten von der Bundesregi­erung, hierfür bessere Rahmenbedi­ngungen zu schaffen. Interview: Michael Pohl O

Die Grünen-Politikeri­n Bärbel Höhn war von 1995 bis 2005 Umweltmini­sterin von Nordrhein-Westfalen. Die 64-Jährige leitet heute den Bundestags-Umweltauss­chuss.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Plastikmül­l auf dem Hof einer Recyclingf­irma: Viele Wiederverw­ertungsanl­agen stehen laut der Umweltpoli­tikerin Bärbel Höhn derzeit aus finanziell­en Gründen still, weil das Verbrennen günstiger sei.
Foto: Ulrich Wagner Plastikmül­l auf dem Hof einer Recyclingf­irma: Viele Wiederverw­ertungsanl­agen stehen laut der Umweltpoli­tikerin Bärbel Höhn derzeit aus finanziell­en Gründen still, weil das Verbrennen günstiger sei.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany