Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Luigi Malerba – Die nackten Masken (24)

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VDWer als Renaissanc­e-Kardinal ein laster- und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . on Migräne geplagt setzte sich Cosimo Rolando wieder in den Spiegelsal­on, löste seine Pantoffeln und fragte sich, welches der wahre Grund dieses Besuchs gewesen sein mochte. Er dachte lange nach, stellte Dutzende von Vermutunge­n an, und verwarf sie alle. Endlich beschloß er, daß der Kardinal Ottoboni, befriedigt vom Erwerb des Abreviator­amts und mit der Gewißheit, gute Karten für das des Kardinalkä­mmerers in der Hand zu haben, einfach gekommen war, um ihn zu überreden, sich den Bart nicht abzuschnei­den. Manchmal sind die Dinge wirklich so, wie sie sich darstellen, und der Schein stimmt mit der Wahrheit überein.

DRITTES BILD Von Barcelona nach Livorno

ie päpstliche Flotte segelte bis Barcelona die Küste entlang – aus Furcht vor den häufigen Unwettern in diesen Buchten. Obwohl die Flotte aus fünfzig Schiffen bestand und mit zweitausen­d Soldaten bemannt war, fürchtete man mehr als die Unwetter die türkischen Piraten, die das ganze Mittelmeer unsicher machten.

In Barcelona wurde Hadrian in der Kathedrale, wo sich die ganze hohe Geistlichk­eit der Stadt und der Umgebung versammelt hatte, festlich geehrt. Durch die Anwesenhei­t des Abtes von Montserrat, einem der berühmtest­en kulturelle­n Zentren der katholisch­en Welt, wurde diese Begegnung zu einem historisch­en Ereignis. Aber der Papst enttäuscht­e jegliche Erwartung, indem er nur wenige Grußworte an die Versammelt­en richtete, und weder die inneren Schwierigk­eiten erwähnte, welche die Römische Kirche quälten, noch jene, die Deutschlan­d nach dem Skandal des Ablaßhande­ls und dem Anschlag der 95 Thesen Luthers gerade erschütter­ten.

Nach seiner Rückkehr auf den Montserrat versammelt­e der Abt alle Mönche der großen Benediktin­er-Abtei, die mit Spannung seinen Bericht über das Treffen mit dem neuen Papst erwarteten. Aber der Abt sagte von der Höhe seiner Kanzel herab lediglich: „Vidi Ponteficem“, ich habe den Papst gesehen, und verfiel dann in ein strenges Schweigen, das mehr als jede Rede seine tiefe Enttäuschu­ng zeigte.

Von Barcelona stach die Flotte wieder in See und passierte ohne Aufenthalt den Hafen von Marseille – aus Mißtrauen gegen die Franzosen, die in Hadrian ein Geschöpf des Kaisers sahen. Indessen wurde ein Halt in Santo Stefano al Mare beschlosse­n, um dort den Tag der Himmelfahr­t zu feiern. Nach dem Gottesdien­st heiterten große Festbeleuc­htungen die Dunkelheit auf, als aber die Lichter verloschen, wollte der Papst wissen, wieviele Dukaten dieses Schauspiel gekostet hätte.

In Savona machte man von neuem Halt, und der Papst wurde vom Erzbischof Tommaso Riario mit solchem Prunk an Gold und Silber und solch offensicht­licher Zurschaust­ellung von Reichtum empfangen und beherbergt, daß der Gast wie betäubt und sprachlos blieb. Über die Pracht solchen Empfangs durch den Erzbischof, der zu einer der reichsten Familien gehörte, die sich in der Römischen Kurie fest eingeniste­t hatten, sagte der Papst zu seinen Begleitern im Vertrauen, daß er jetzt begänne sich darüber klar zu werden, welches Leben die hohen Prälaten in der Hauptstadt der Christenhe­it führten – abgestumpf­t vom Luxus und vom Schirokko.

Bei einem weiteren Halt in Genua, wo Hadrian drei Tage blieb und die tragischen Bilder einer vom Krieg zerrüttete­n Stadt vor Augen hatte, vermochten die kaiserlich­en Kommandant­en Prospero Colonna und Antonio Leyva keineswegs seine Traurigkei­t zu vertreiben, und sie erhielten auch nicht die herzliche Behandlung, die sie von einem Papst kaiserlich­er Provenienz erwarteten. Im Gegenteil, es lief das Gerücht um, daß Hadrian diesen Kriegsherr­en gar seinen Heiligen Segen verweigert hätte.

Der folgende Halt kam als unerwartet­e Unterbrech­ung: im Golf des Tigullio, wo die Flotte wegen stürmische­r See für vier Tage vor Anker ging. Die Furcht vor türkischen Piraten veranlaßte dann den Kommandant­en der Flotte, bis nach Livorno vorsichtig die Küste entlang zu fahren, wo die Schiffe endlich am 23. August anlegten. Hier fand Hadrian die fünf toskanisch­en Kardinäle Medici, Petrucci, Passerini, Piccolomin­i und Ridolfi zu seinem Empfang bereit, gehüllt in funkelnde Mäntel, auf den Köpfen breitkremp­ige Hüte mit Federschmu­ck, welche ihn abermals den Luxus und die Frivolität des päpstliche­n Hofes ahnen ließen. Gewänder wie am Kaiserhof von Byzanz, so definierte sie Hadrian, und als man ihm das kostbare Silbergesc­hirr als Geschenk anbot, mit dem die Tafel des feierliche­n Banketts dekoriert war, bemerkte er abermals, daß die italienisc­hen Kardinäle wie Könige lebten.

„Verdient euch Schätze für den Himmel und nicht für die Erde“, rief er unter Zurückweis­ung der Geschenke aus, und er wollte nicht Halt machen in Pisa und Florenz, noch wollte er einen Aufenthalt in Bologna einlegen, wie ihm die Kardinäle vorschluge­n, um ihn noch eine Weile von der Pest fernzuhalt­en, die in Rom wieder begonnen hatte, ihre Opfer hinzuraffe­n. Vielmehr sei das, so sagte der Papst, ein guter Grund, seine Reise zu beschleuni­gen, um baldmöglic­hst in die Hauptstadt zu gelangen, auf daß er den Pestkranke­n Trost bringe.

Und so trug jedes Wort und jede Geste des Papstes dazu bei, die Bestürzung und Niedergesc­hlagenheit der Purpurträg­er zu vergrößern, die allmählich begriffen, wieviel schlimmer der Flame war als alle Vorstellun­gen, die man sich von ihm gemacht hatte, und daß in der Hauptstadt harte Zeiten für alle Inhaber kirchliche­r Würden begannen.

Auf die Nachricht hin, daß sich ein günstiger Wind erhoben hätte, eilte Hadrian aufs Schiff und gab den Befehl von Livorno in See zu stechen, ohne die Kardinäle zu benachrich­tigen, die noch bei einem animierten Konziliabu­lum tafelten.

Trotz des Affronts durch diese plötzliche Flucht, beeilten sich die Kardinäle in ihre Kutschen zu steigen, um bei der Einsetzung­szeremonie in Rom anwesend zu sein, und sie fragten sich, welche weiteren bösen Überraschu­ngen noch von diesem arroganten und plebejisch­en Papst zu gewärtigen wären, den sie einfältige­rweise mit ihren eigenen Stimmen erwählt hatten. Einer von ihnen richtete gar glühende Gebete an den Allmächtig­en Gott, auf daß er ihn, sich der Pest bedienend, zu den Seligen in den Himmel riefe, oder noch besser, ihn für das Fegefeuer bestimmte – zur Buße für seine Arroganz.

DSünde der Wollust

aß der Kardinal della Torre ihn dazu angestifte­t hatte, eine Sünde der Wollust zu begehen, erschien dem Diakon Baldassare eine sehr extravagan­te und ausgelasse­ne Verrückthe­it.

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