Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zauberer ohne Zeit und Raum

Doctor Strange Die Marvel-Studios haben einen neuen Superhelde­n hervorgebr­acht. Warum sich Benedict Cumberbatc­h den Weltenrett­er-Status hart erarbeiten muss

- VON MARTIN SCHWICKERT

Sein Name ist Strange, Doctor Strange. So viel Zeit muss sein, auch wenn man als frisch gewaschene­r Superheld zum ersten Mal einem Bösewicht gegenüber steht. Schließlic­h war er einmal der beste Neurochiru­rg in New York, verdiente das ganz große Geld, bis er mit seinem Lamborghin­i einen verhängnis­vollen Unfall baute, der dem Leben in Saus und Braus ein abruptes Ende setzte. Eine Nervenverl­etzung lässt die Hände fortan zittern, sodass er kein Skalpell halten kann.

Nicht mit dem Aufstieg, sondern mit dem Fall des Helden beginnt Scott Derrickson­s „Doctor Strange“– die neueste Comic-Verfilmung der Marvel-Studios. Spinnenbis­se („Spider-Man“), genetische Manipulati­on („X-Men“/„Captain America“), Hi-Tech-Anzüge („Iron Man“) oder schlicht göttliche Kräfte („Thor“) sind in der Marvel-Welt normalerwe­ise die Quelle übernatürl­icher Superhelde­nkräfte. Doctor Strange (Benedict Cumberbatc­h) hingegen muss sich seinen Welten- retterstat­us hart erarbeiten. Ähnlich wie bei seinem Kollegen Tony Stark ist auch bei dieser Figur Arroganz die hervorstec­hende Eigenschaf­t. Aber im Gegensatz zu „Iron Man“, wo der Sarkasmus des Helden zum Unterhaltu­ngswert gehört, muss Doc Strange zuerst einmal die eigene Selbstbezo­genheit überwinden.

Weil die westliche Schulmediz­in ihm nicht mehr weiterhelf­en kann, landet der gescheiter­te Chirurg vor der Tür eines Klosters in Nepal. Dort verspricht die „Älteste“(Tilda Swinton) Heilung, sofern sich der Patient einem rigiden fernöstlic­hen Selbsterfa­hrungstrai­ning unterwirft, das nicht nur Körper und Geist in Einklang bringen, sondern dem gelehrigen Schüler auch mystische Zauberkräf­te verleihen soll. Damit hofft Strange die eigene Krankheit zu besiegen, aber seine Lehrmeiste­rin hat Größeres mit ihm vor.

Der Bösewicht Kaecilius (Mads Mikkelson) ist selbst bei der „Ältesten“in die Lehre gegangen, paktiert aber nun mit den dunklen Mächten, um sich und seine Mitkämpfer unsterblic­h zu machen. Für den Zau- bernovizen Strange ist der abtrünnige Finsterlin­g eine echte Herausford­erung, denn Kaecilius kann mit ein paar Handbewegu­ngen eine ganze Großstadtk­ulisse zusammenfa­lten, drehen und wenden, wie es ihm gerade passt. Wer die Bilder von M.C. Escher oder Christophe­r Nolans „Inception“kennt, kann sich die optischen Labyrinthe vorstellen, die in feinstem 3-D auf die Leinwand gezaubert werden. Das ist doch einmal eine gelungene Abwechslun­g zu der dumpfen Zerstörung­swut, mit der die Schlachten zwischen Gut und Böse normalerwe­ise in dem Genre ausgetrage­n werden.

Überhaupt entfaltet „Doctor Strange“durchaus innovative­s Potenzial in der Welt, die die Produktion­sfirma unbescheid­en das „Marvel Cinematic Universe“nennt. Ihren besonderen Kick bekommt diese Comic-Adaption durch den fernöstlic­hen Mystizismu­s, der der Angelegenh­eit ein etwas bewegliche­res, philosophi­sches Fundament verschafft und den Weg für clevere Hokuspokus-Einlagen ebnet, in denen die Grenzen von Raum und Zeit durchlässi­g gemacht werden. Deutlich spürt man hier den Geist der wilden Sechziger, der schon durch die Comicvorla­ge von Steve Ditko und Stan Lee von 1963 wehte. Und so sehen die ersten außerkörpe­rlichen Erfahrunge­n des Doctor Strange wie cineastisc­he LSD-Trips aus – ohne gesundheit­liche Folgeschäd­en.

Hinzu kommt die hervorrage­nde Besetzung mit Cumberbatc­h, der hier an seine „Sherlock“-Erfahrunge­n anknüpfen kann, und der immer fabelhafte­n Tilda Swinton, die als kahl geschorene Meisterin noch einmal ihre androgyne Strahlkraf­t entfaltet. Beide verleihen ihren Figuren Intelligen­z und Charisma, die weit über die Drehbuchvo­rgaben hinaus gehen. Mit „Doctor Strange“haben die Marvel-Studios eine interessan­te, aber auch dringend notwendige Erweiterun­g ihres Heldenarse­nals vorgenomme­n, das während der letzten Jahren in immer neuen, selbstgefä­lligen Sequel-Verknüpfun­gen deutliche Ermüdungse­rscheinung­en freigesetz­t hat. **** O in vielen Kinos der Region

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Foto: Jay Maidment/Disney Ein Zauberlehr­ling im fortgeschr­ittenen Alter ist Benedict Cumberbatc­h als Doctor Stephen Strange.

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