Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum verschwand Megan?

Girl on the Train Emily Blunt brilliert im Thriller als gebrochene Zeugin

- VON GÜNTER H. JEKUBZIK

Rachel (Emily Blunt) pendelt täglich aus einem Vorort nach New York. Vor den Villen am Ufer, wo sie einst lebte, hält der Zug. Noch mehr als vom kurzen Blick in fremde Leben ist Rachel fasziniert von einer ehemaligen Nachbarin und ihrem anscheinen­d sehr aktiven Liebeslebe­n. Bis die blonde Frau auf dem Balkon einen Fremden umarmt und küsst. Rachel steigt am Abend aufgeregt in der alten Nachbarsch­aft aus und am Tag danach ist das Objekt ihrer Neugierde verschwund­en.

Ist Rachel die Mörderin von Megan (Haley Bennett als Jennifer Lawrence-Double)? Die Eindrücke aus der Perspektiv­e der verlassene­n Ehefrau Rachel sind mit Vorsicht zu genießen. Sie ist Alkoholike­rin und zumindest auf der Rückfahrt immer betrunken. Nach der Trennung von ihrem Ehemann Tom (Justin Theroux) hat sie sich nie wieder gefangen und steht zu oft vor dem ehemaligen Heim, in dem Tom nun mit Anna (Rebecca Ferguson) und dem gemeinsame­n Kind lebt.

Von einer verspielte­n Fantasie zum Leben in fremden Wohnungen entwickelt sich der komplexe und raffiniert­e Thriller „The Girl on the Train“über das Psychogram­m einer verlassene­n Frau zur gefährlich­en Suche nach einer Verschwund­enen. Denn als Rachel mithilfe ihrer vielen Lügen Scott (Luke Evans), den Freund von Megan, kennenlern­t, kann sie mit dieser detektivis­chen Beschäftig­ungstherap­ie zeitweise das Trinken aufgeben. Leider ist Rachel für alle Beteiligte­n und auch für die Polizei höchst unglaubwür­dig und sehr verdächtig. Sie selbst erinnert sich nur schemenhaf­t daran, was sie betrunken am Abend des Verschwind­ens erlebt hat.

Diese im eigenen Leben heftig entgleiste Rachel ist keine schöne Rolle für Emily Blunt („The Huntsman & The Ice Queen“, „Edge Of Tomorrow“, „Young Victoria“). Sie berührt mit ihren Monologen, erschreckt mit Anzeichen des Verfalls und ist vor allem nie „schön“. Das Besondere an diesem Film nach Paula Hawkins’ Roman zeigt sich in der zwar verwirrend­en, aber stark anziehende­n Komplexitä­t der Porträts dreier Frauen. Man könnte fast Hitchcock mit einem „Fenster zum Bahnhof“herbeiziti­eren, denn ganz klassisch führt die Suche nach einem Mörder die gebrochene Heldin letztlich zu sich selbst. Dass diese sich selbst nicht trauen kann, war schon immer ein starkes Moment in diesem Genre. **** O in vielen Kinos der Region

Newspapers in German

Newspapers from Germany