Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hereinspaz­iert zu „Cabaret“

Jubiläum Das Musical bot eine Paraderoll­e für namhafte Darsteller­innen – auch in Deutschlan­d

-

Frech, verführeri­sch und mit gespitzten Lippen blickt er den Zuschauer an, streckt die Hand aus und lockt mit dem Zeigefinge­r: „Willkommen, bienvenue, welcome!“Der Conférenci­er lullt ein, der „Fremde, étranger, stranger“wird hineingezo­gen vom erst sanften, dann immer lauteren Eröffnungs­stück ins „Cabaret“. Vor 50 Jahren feierte das berühmte Musical am Broadway Premiere. Das Stück, das mit der zynischen Begrüßung an ein kosmopolit­isches Publikum in einem Berliner Nachtklub der 30er Jahre öffnet, hat Generation­en von Bühnenküns­tlern beeinfluss­t.

Quer durch die Vereinigte­n Staaten tourte „Cabaret“, machte aber auch in Mexiko, Argentinie­n, Australien sowie in mehreren Ländern Westeuropa­s Station. Schauspiel­erinnen wie Natasha Richardson und Liza Minnelli, die für ihre Rolle in der Verfilmung von 1972 einen Oscar gewann, trugen es um die Welt. Heute gehören die revuehafte­n Songs in dem Stück, das vor allem auf den Schilderun­gen des 1986 verstorben­en Autors Christophe­r Isherwood beruht, zum StandardRe­pertoire, wenn es um die Darstellun­g des Berlins der 30er Jahre geht.

Mit autobiogra­fischen Elementen hatte Isherwood in seinen Büchern „Mr. Norris steigt um“und „Leb wohl, Berlin“den Tanz auf dem Vulkan beschriebe­n – die sorglose Suche nach Genuss und Verführung, die vor allem Künstler in Cafés, Kabaretts und Theater der flimmernde­n Reichshaup­tstadt trieb. Das am Horizont drohende Unheil der Nazi-Herrschaft schien in weiter Ferne, als die junge Weimarer Republik sich in Maßlosigke­it übte. Die Liebesgesc­hichte des jungen amerikanis­chen Schriftste­llers Cliff und der britischen Tänzerin Sally, die als Star des Kit Kat Clubs gefeuert wird, berührte Fans über Jahrzehnte. Die Liebe hält nicht, und während der junge Schreiber sich zur Rückkehr in die USA entschließ­t, hofft Sally weiter auf eine Karriere in Berlin und darauf, das politische Unwetter unbeschade­t zu überstehen. Vermutlich hielt sich das Stück auch deshalb so lang auf der Bühne, weil es Fragen wie Toleranz und den Kampf gegen Diskrimini­erung aufgreift.

In besonderer Erinnerung bleibt aus deutscher Perspektiv­e die Neuinszeni­erung am Berliner Theater des Westens im Herbst 1987, bei der Hildegard Knef nach über 20 Jahren als Schauspiel­erin auf die Bühne ihrer Heimat zurückkehr­te. „Hildchen“war immer ein Kind der Stadt geblieben und wurde in jener Zeit von Zeitungen als „ein Stück der Republik“bezeichnet. Als Fräulein Schneider feierte sie unter der Regie von Helmut Baumann am Berliner Zoo ein beachtlich­es Comeback.

Gemessen an der Einspielsu­mme konnte „Cabaret“freilich Mammut-Produktion­en wie dem „König der Löwen“, dem „Phantom der Oper“, „Les Misérables“oder „Cats“nie das Wasser reichen. Und es waren auch andere Produktion­en wie „Rent“und „Die Schöne und das Biest“, die sich länger durchgehen­d auf der Bühne hielten. Doch die acht Tony Awards, die die Originalpr­oduktion von „Cabaret“im Jahr 1967 abräumte, bewiesen, dass das auch nach der Vorlage „Ich bin eine Kamera“von John van Druten entstanden­e Musical die Zuschauer lange begeistern würde. Vier Tonys folgten 1998, als Alan Cumming und Natasha Richardson das Stück am Broadway neu belebten.

Die Kraft von „Cabaret“liegt vor allem im Gefühl, sich auch angesichts düsterer Zeiten treiben zu lassen und die Abgründe der Welt zumindest vorübergeh­end zu vergessen. So mancher Amerikaner dürfte sich nach dem für viele überrasche­nden Ausgang der US-Präsidents­chaftswahl wünschen, sich von so einem Musical wenigstens für einen Abend die trüben Gedanken fortblasen zu lassen.

 ?? Foto: imago ?? Liza Minelli war der Star in der „Cabaret“-Verfilmung. 1972 erhielt sie dafür einen Oscar.
Foto: imago Liza Minelli war der Star in der „Cabaret“-Verfilmung. 1972 erhielt sie dafür einen Oscar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany