Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Pubertät im Kohlenpott

Radio Heimat Vier Jungs wachsen dort auf, wo man im Fußballsta­dion für Dortmund, Schalke oder Bochum jubelt. Und wo sie im Bergarbeit­er-Chor ihren Schwarm anhimmeln können

- VON GÜNTER H. JEKUBZIK

Heimat ist … auf einer Halde aus verseuchte­m Dreck der Steinkohle­Ära zu stehen und dort zu sagen: „Watt ne geile Gegend“. Frank Goosen ist ein begnadeter, moderner Heimatdich­ter des Ruhrpotts, dessen Spannweite vom kabarettis­tischen Prix Pantheon (1997) mit dem Duo Tresenlese­r bis zu Beiträgen im Kicker und einem Sitz im Aufsichtsr­at des VfL Bochum reicht. Bislang wurde von seinen Romanen und Erzählunge­n „Liegen lernen“verfilmt. Jetzt kommt sein Buch „Radio Heimat. Geschichte­n von Zuhause“aus dem Jahr 2010 als Komödie in die Kinos.

„Radio Heimat“sendet kuriose Verhaltens­weisen mit verstaubte­r Ruhrpott-Komik in den Rest der Republik. Gespickt mit InsiderSch­erzen für Dortmund-, Bochumund Schalke-Fans. Und weil auch der Ruhrpott längst Hollywood ist, folgt die Handlung den vier Freunden Frank (David Hugo Schmitz), Pommes (Jan Bülow), Spüli (Hauke Petersen) und Mücke (Maximilian Mundt). Sie wachsen im Ruhrgebiet auf und stecken mitten in der Pubertät. Regisseur Matthias Kutschmann drehte in die achtziger Jahre zurück. Die Clique kämpft sich durch Partykelle­r und Industrieg­elände, geht zur Tanzschule und auf Klassenfah­rt. Die Jungs feilen an einem möglichst coolen Lebenslauf, um später mal mit einer Band erfolgreic­h zu sein. Klappt aber nicht so richtig. Stattdesse­n landen sie in einem Bergarbeit­er-Chor. Dann ist da Carola (Milena Tscharntke) – tolle blonde Haare, die Schönste an der Schule. Frank ist in sie verschosse­n.

Wie die Tanzschul-Geschichte­n von Vater (1964) und Sohn (1983) leidet auch der Film unter häufigen Richtungsw­echseln ohne Rhythmusge­fühl. Das Kapitel „Liebe ohne Raum“über die schwierige Eheanbahnu­ng vom „Vadder“ist eine der wenigen ununterbro­chen witzigen Geschichte­n. Bis beim großen Happy End auf der besoffenen Klassenfah­rt alles drunter und drüber geht, sowohl inhaltlich als auch im Stil des Films. Es jault und knarzt bei dieser Radiosendu­ng aus der Abstellkam­mer. Viel NRW-Prominenz, wie Elke Heidenreic­h als Tante vom Büdchen, Peter Lohmeyer und Hans-Werner Olm, sondert kernigen Ruhrpott-Slang von der Sorte „Wir sind Strukturwa­ndel“ab. Im Off kommentier­t ein halbwegs komischer Erzähler die Episoden, die Dialoge sind weniger prickelnd.

Frank erzählt im Film mit Rückblicke­n, wie sich seine Eltern kennenlern­ten und wie das eben so war früher im Ruhrgebiet. Sein Opa zum Beispiel drückt das so aus: „Ach hör doch auf. Woanders ist auch scheiße.“Die Komödie wirft einen ironisch-liebevolle­n Blick auf die Region – auch kitschig bis banal, doch voller Situations­komik. So heißt es zu Beginn: „Wir im Ruhrgebiet laden Auswärtige gern ein, zu uns zu kommen, um ihren Begriff von Schönheit zu erweitern.“

Für den Zeitgeist werden Urzeitkreb­se getrunken, Yps-Hefte, Rubik´s Cube und eine gelbe Plastiktüt­en von Elpi mit einer LP drin ins Bild gehalten. Dabei wirkt das Ergebnis der eifrigen Requisite meist künstlich. Ein Ford Capri steht auf der Straße rum, ein verfallene­s Stahlwerk („das wird mal ne Kulturhaup­tstadt“) ist Treffpunkt der Freunde, Falkos „Junge Römer“und „Goldene Reiter“plärren um die Wette. Um es im knappen Stil der Protagonis­ten zu sagen: „Radio Heimat“? Kann man machen, muss man aber nich. Wer statt dieser bebilderte­n Scherzsamm­lung einen richtigen Film mit Kohlenstau­b will, findet „Junges Licht“jetzt ganz aktuell fürs Heimkino. *** O Penzing in Augsburg, Kaufbeuren,

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Foto: Concorde Halbstarke Jungs aus’m Ruhrpott (von links): Pommes (Jan Bülow), Mücke (Maximilian Mundt), Spüli (Hauke Petersen) und Frank (David Hugo Schmitz).

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