Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Show: Ein fast zerstörtes Leben
Porträt Benjamin von Stuckrad-Barre war der Popstar der deutschen Literatur – bis er in Drogen und Wahn abstürzte. Jetzt geht er genau damit auf die Bühne. Warum macht ein Mensch das?
Dieser Absturz war schon damals der Knüller. Von Bild- und RTLReportern vor gut zehn Jahren bis in die Entzugsklinik verfolgt und auch vom sonst betont seriösen Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen in einer großen Titelgeschichte beleuchtet – die Schlagzeile: „German Psycho“.
Denn Ende der Neunziger hatten sie ihn ja alle auch gefeiert: Benjamin von Stuckrad-Barre, das Gesicht der jungen deutschen Literatur, der Popliteratur, ein Popstar, das Buch „Soloalbum“schnell Kult, der Autor bald auch Moderator im damals hippen Musikfernsehen, ein echter Promi. Schillernder Aufstieg ins Licht und bodenloser Fall in die Dunkelheit, Genie und Kunst und Drogen und Wahn – tolle Story. Für eine zynische Branche, mag man ergänzen. Aber was macht dieser Stuckrad-Barre selbst, jetzt, nachdem er gerade noch überlebt hat?
Es ist Dienstagabend in der Augsburger Kantine – dort, wo sonst oft Rock-Konzerte dröhnen, ist heute eine Lesung anberaumt, wo sonst berauscht getanzt und gefeiert wird, ist heute bestuhlt – und mit rund 200 Besuchern voll besetzt. Denn im einst so rauschenden Rock’n’RollLeben des Benjamin von StuckradBarre mag ebenso Nüchternheit und Ruhe eingekehrt sein: Keine Drogen mehr, kein Alkohol, bloß noch Kaffee und Schlafmittel und die Kippen, die er auch auf der Bühne den ganzen Abend über rauchen wird, sodass er zu Beginn gleich mal im Publikum nach einer Tablette gegen Sodbrennen ins Publikum fragt und dabei sogar fündig wird.
Aber ein Star ist er immer noch, der inzwischen 41-Jährige. Und das liegt gerade daran, dass er seine Geschichte, Aufstieg und Fall, zu einem Buch gemacht hat, zu einer Art veröffentlichter Beichte, in der er die Geilheit nach Ruhm, die Kokainund Speed-Exzesse wie seine Magersucht, die Verwahrlosung, den totalen Kontrollverlust und die Depressionen genau beschrieben hat: „Panikherz“, ein Bestseller – das ist das Eine. Das Andere aber ist, dass er mit diesen Geständnissen nun auch durch die Republik tingelt und sie in Lesungen direkt vor den Menschen wiederholt. Und so wird aus der im Buch veröffentlichten zudem eine öffentliche Beichte, live. Es mag aktuell wieder in Mode sein, dass Schriftsteller selbst das Ich sind, das im Buch spricht, autobiografisch – vom international gefeierten Norweger Karl Ove Knausgård, der Onanier-Probleme und auch Tod des Vaters ausbreitet, bis hin zum für den Deutschen Buchpreis nominierten Thomas Melle, der über seine bipolare Erkrankung schreibt. Aber was wird daraus für ein Abend, wenn das Ich des Menschen direkt ins Gesicht erzählt?
Bei Stuckrad-Barre: eine Show! Nicht nur, weil er bei den Auszügen, die er in Augsburg liest, vor allem kabarettistische Bravourstellen wählt: am Einreiseschalter in die USA und Backstage mit seinem Freund und Retter Udo Lindenberg, den der Autor auch großartig zu imitieren versteht; Pubertätsgeschichten und so aberwitzige wie passgenaue Alltags-Typologien angesichts eines drohenden Klassentreffens. Nein, was vor allem zur Show wird, ist dieser ruhelos flirrende Geist auf der Bühne selbst, der sich tatsächlich so kühn durch Assoziationsketten hangelt und so kokett zwischen Egomanie und Ironie balanciert, wie das im Roman scheint. Zum Beispiel: Eben noch karikiert Stuckrad-Barre 3-Sat-Literaten, die sogar kultiviert und vergeistigt an ihrem Wasserglas zu nippen verstehen, und haut Günter Grass für Sätze in die Pfanne wie „Dem sei mein Nein auf die Schwelle gelegt“; dann schon führt er vor, wie er seinen vierjährigen Sohn spielend in Sachen ADHS übertrumpft, sodass der sich mit einem Buch aufs Sofa zurückzieht und den Vater bittet, etwas leiser zu spielen. Es geht also sehr unterhaltsam aufwärts an diesem Abend, es wird viel gelacht.
Und der Absturz? Folgt. Zum Abschluss der hundert Minuten führt Stuckrad-Barre hinein in die „Junkie-Hölle“, blank, auf Speed, heulend, aus einem Hotelzimmer geschmissen, das er völlig verwüstet hat. Und vielleicht zeigt sich in diesem Moment einmal mehr, dass einer, der immer auf die Öffentlichkeit hingelebt hat, diese auch als Echoraum und Spiegel braucht, um sich selbst zu hören und zu sehen. Bloß: Wie entfremdend muss die stete Wiederholung dieser Selbstkonfrontation auf einer solchen Lesereise wiederum sein? Wird sein echtes Leben so nicht immer mehr zum Roman? Des Autors letzte Satz in Augsburg möge wirklich gelten: „Auf dass ich nicht erst wieder 15 Jahre Mist bauen muss, um wieder einen Roman fertigzubringen.“