Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Lesestoff für die kalte Jahreszeit
Kultur Beim „Jungen Literarischen Quartett“reden Referenten über neue Jugendbücher. Es gibt Favoriten und Enttäuschungen
Diedorf Der Argentinier Luis Borges sagte einst: „Noch schwieriger, als einen guten Autor zu finden, ist es, einen guten Leser zu finden.“Mit diesem Zitat läutet der 22-jährige Tobias Karrer das Junge Literarische Quartett in Diedorf ein. Vier Leser stellen vier Jugendbücher vor und diskutieren sie. Neben Tobias sind das an diesem Abend Lara Lorenz, Annabelle Grasse und Paul Welslau. Die Veranstaltung unter dem Motto „Vier Bücher, vier Menschen, vier Meinungen, ein Gespräch“findet bereits zum neunten Mal im Theater Eukitea statt.
Tobias ist ein alter Hase beim Jungen Literarischen Quartett, der Lehramtsstudent macht schon zum siebten Mal mit. Als erster Referent des Leseabends stellt er das Buch „Sturmland 1 – Die Reiter“von Mats Wahl vor. Es ist der Auftakt zu einer Jugendbuchserie, von der bereits drei Teile erschienen sind. Die Geschichte spielt in Schweden, 50 Jahre in der Zukunft. Schlimme Stürme ziehen über das Land, es gibt Banditen, wilde Tiere und Familienfehden.
Tobias sagt, dass die Geschichte wie „eine weitergedachte Klimakatastrophe“sei. Es gibt auch eine Liebesgeschichte zwischen der 16-jährigen Protagonistin Elin und Harald. „Aber Harald ist so ein wei-
nerlicher Kerl“, stört sich Tobias. Paul erinnert die Liebesgeschichte hingegen an Romeo und Julia. Aber alle vier Referenten sind sich einig, dass die Story insgesamt spannend ist.
Lara Lorenz ist an diesem Abend extra aus ihrem Studienort Leipzig
angereist, um das Buch „Opfer – Lasst uns hier raus!“von Jesper
Wung-Sung vorzustellen. Es handelt von einer kleinen Schule in Dänemark, die von einem Tag auf den nächsten niemand mehr verlassen darf, da scheinbar eine Seuche umgeht. Die Protagonisten finden sich in einer Extremsituation wieder, mit der sie nach und nach lernen müssen, klarzukommen.
Tobias zeigt sich begeistert: „Das Buch ist eine großartig poetische Fallstudie.“Annabelle hatte dagegen Probleme mit den sehr klischeehaft dargestellten Figuren. Paul liest solche Bücher eigentlich gar nicht, erzählt er. „Dafür hat mich das Buch positiv überrascht und nachdenklich gestimmt“, sagt der 20-Jährige.
Die 18-jährige Annabelle Grasse ist dieses Jahr zum ersten Mal beim Jungen Literarischen Quartett dabei. Die Auszubildende zur Agrartechnischen Assistentin stellt das Buch „Im Jahr des Affen“von Que Du
Luu vor. Die Autorin verarbeite mit dem Buch ihre Kindheitserlebnisse, erklärt Annabelle. Im Buch geht es um die Jugendliche Mini, eine Vietnamesin mit chinesischen Wurzeln, die als junges Mädchen mit ihrem Vater auf einem Boot nach Deutschland kam. Dort betreibt er ein China-Restaurant, das Mini später übernehmen muss.
Das Buch beschreibt einen Kulturkonflikt – es geht um die Frage, wie chinesisch die in Deutschland sozialisierte Mini zu sein hat. Lara sieht in dem Kulturkonflikt ein aktuelles Thema, „aber die privaten Teenie-Konflikte der Protagonistin hätte es nicht gebraucht“. Annabelle findet dagegen, dass die Geschichte gerade von diesen Trivialitäten lebt: „Manchmal empfindet man kleine Probleme eben als ganz groß.“Tobias konnte nur mit zehn Seiten wirklich etwas anfangen. „Einmal steht im Buch: ,Und dann küsst sie ihn aufs Ohrläppchen.‘ Ich saß da und habe einfach nur lachen müssen“, sagt der 22-Jährige.
Paul Welslau, Auszubildender zum Pharmazeutisch-Technischen Assistenten, hat „Spirit Lake – Die Legende des Wendigo“von Christopher Ross dabei. Die Story handelt von einem jungen Mädchen namens Allie, das an einem Zeugenschutzprogramm in einer kleinen Stadt in Nordamerika teilnimmt. Sie trifft dort auf einen Indianerjungen, der ihr von einem Wintergeist namens Wendigo erzählt.
„Ich finde alles richtig schlimm, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, sagt die sichtlich aufgebrachte Lara. Auch das Ende schneidet bei den Referenten nicht gut ab. „Das Ende ist eigentlich nur das Sahnehäubchen auf einen Haufen Schreibschmarrn“, findet Annabelle. Auch Paul ist der Meinung, „der Autor hätte auch ein großes Fragezeichen auf die letzte Seite malen können, das wäre auf das Gleiche hinausgelaufen“. Bei den Zuhörern kommt es gut an, dass die Referenten bei der Kritik kein Blatt vor den Mund nehmen. Sara Probst aus Augsburg fand zum Beispiel das Buch „Im Jahr des Affen“sehr interessant. Sie sitzt bereits zum vierten Mal im Publikum. Auch Josefine Wunderwald aus Rommelsried kommt fast jedes Jahr zum Jungen Literarischen Quartett. „Ich möchte das von Lara vorgestellte Buch „Opfer“gerne einmal lesen“, sagt sie.
Auch die vier Leseempfehlungen, die die Referenten am Ende geben, finden Anklang. „Generell richten sich alle vorgestellten Bücher an Zwölf- bis 18-Jährige“, erklärt Tobias. Es ist also für jeden etwas dabei. Und das Junge Literarische Quartett motiviert dazu, nicht „nur“zu lesen, sondern auch mal kritisch zu hinterfragen – eben ein guter Leser zu sein.