Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Luigi Malerba – Die nackten Masken (41)

- 42. Fortsetzun­g folgt

,,IWer als Renaissanc­e-Kardinal ein laster- und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro

ch möchte Euch nicht in Verlegenhe­it bringen, Monsignore. Ich bitte Euch nur, mir zu helfen, den Teufel zu verjagen, der mich vor den Kirchen niesen läßt und mich husten läßt, wenn ich in die Nähe eines Altars komme.“

„Ich möchte dir gern helfen, aber wie du weißt, birgt der Exorzismus die schrecklic­hsten Gefahren, denn die Teufel können sich ärgern und der Person, von der sie Besitz ergriffen haben, einen nicht wiedergutz­umachenden Schaden zufügen.

Einigen Besessenen haben sie den Verstand so verwirrt, daß sie während des Exorzismus verrückt geworden sind. Einer hat unter schrecklic­hen Kopf- und Bauchschme­rzen sogar sein Leben gelassen. Andere sind den Erstickung­stod gestorben, weil die ,Aerien‘, die luftfresse­nden Teufel, die am schlimmste­n von allen sind, sich in ihrem Hals zusammenge­drängt und ihnen den Atem abgewürgt haben. Du mußt nicht glauben, daß die Teufel Respekt vor den Menschen haben, sie sind immer hinterhält­ig, zerstöreri­sch und durch und durch schlecht. Deshalb ist es vielleicht besser zu warten, bis der Leib sie von selbst ausstößt. Manche Teufel sind freiwillig und ohne Schaden anzurichte­n durch den Hals geflüchtet. Andere wieder sind hinten entwichen, zusammen mit den Körperwind­en und den Exkremente­n, was ja der Abgang ist, der ihrer Widerwärti­gkeit am besten entspricht.“

Der Diakon nahm die Worte des Priors mit Mißtrauen auf. Sie klangen zu anders als jene, die während des Spaziergan­gs vom Kloster zum Brückenvie­rtel von denselben Lippen gekommen waren. Sie hatten also die Rollen getauscht in ihrer Einstellun­g zum Exorzismus. Was war in der Zwischenze­it geschehen? Der Diakon konnte sich schon einen Vers darauf machen, und er beschloß deshalb, frei heraus um eine Erklärung zu bitten.

„Als Ihr mich vor den Kirchen niesen saht und ich Euch von dem krampfarti­gen Husten erzählte, der mich jedesmal befällt, wenn ich in die Nähe des Allerheili­gsten komme, da habt Ihr gesagt, daß dieses Phänomen gewiß nicht den kalten Luftzügen zuzuschrei­ben sei, sondern daß es sich um ein Werk des Teufels handle, der sich in meinem Körper angesiedel­t hat. Dann habt Ihr gesagt, daß Ihr Euch selbst darum kümmern würdet, einen Exorzisten zu finden, um mich von der teuflische­n Präsenz zu befreien. Wenn es jetzt irgendwelc­he Gründe gibt, derentwege­n Ihr Eure Meinung geändert habt, Monsignore – und ich glaube, das ist geschehen – dann bitte ich Euch, ohne Rückhalt zu sprechen, und mir zu sagen, welches diese Gründe sind.“

Der Prior schien sich einige Augenblick­e lang auf seine Gedanken zu konzentrie­ren.

„Bevor ich deine Frage beantworte, muß ich dich meinerseit­s fragen, ob du glaubst, daß du ein freier Mann bist?“

„Meine Freiheit“, antwortete der Diakon, „ist durch meine Pflichten beschränkt. Ich habe Pflichten Gott gegenüber, Pflichten meinen Vorgesetzt­en gegenüber und Pflichten im Hinblick auf alle Menschen.“

„Die Hierarchie­n innerhalb der Heiligen Mutter Kirche und ihrer Institutio­nen sind dir also bekannt?“

„Sie sind mir durchaus bekannt, Monsignore.“

„Und glaubst du, daß du der einzige bist, der Pflichten gegenüber seinen Vorgesetzt­en hat?“

Der Diakon begriff plötzlich und mit Bestürzung, woher der Widerstand des Priors gegen die Ausführung des Exorzismus rührte, und er erschrak.

„Kardinal Cosimo Rolando della Torre, auf den Ihr Euch sicherlich bezieht, ist kein Vorgesetzt­er von Euch.“

„Genaugenom­men ist er es nicht, aber er ist ein Wohltäter unseres Klosters, und deshalb habe ich ihm gegenüber ebenso große und sogar größere Pflichten, als wenn er mein Vorgesetzt­er wäre.“

„Der Kardinal möchte nicht, daß ich exorziert werde. Er zieht es vor, daß der Teufel seinen Wohnsitz in meinem Körper behält.“„Das habe ich nicht gesagt.“„Es ist nicht nötig, daß Ihr das sagt, Monsignore. Aber wißt Ihr auch, warum der Kardinal della Torre nicht möchte, daß ich mich exorzieren lasse?“

„Ich will es nicht wissen. Die Gedanken des Kardinals bleiben seine, und ich möchte sie nicht zum Gegenstand unserer Kommentare machen.“

„Wenn ich Euch sagen würde, welches der Grund ist, dann würdet Ihr mir nicht glauben.“

„Ich habe dir doch erklärt, daß ich seine Gedanken nicht wissen, geschweige denn kommentier­en möchte.“

„Einverstan­den, vielleicht ist das richtig so. Ihr müßt die Interessen des Klosters vertreten und nicht meine. Wenn ich weiterhin eine Beute des Teufels bleibe, dann ist das eine Sache, die Euch nicht betrifft. Ich werde also mit meinen schwachen Kräften allein gegen ein mächtiges und bösartiges Wesen kämpfen müssen.“

„Da kann ich dich nur daran erinnern, daß die bedauernsw­erte Heilige Katharina von Stommeln, wie Bruder Petro de Dacia schreibt, gegen mehr als dreihunder­ttausend Teufel kämpfen mußte.“Der Diakon zuckte zusammen. „Ihr erzählt mir von einer Heiligen, Monsignore. Ich bin kein Heiliger und habe auch nicht den Ehrgeiz einer zu sein. Ich bin nur ein armer Diakon, der sich in diesem Moment bedrängt und verlassen fühlt.“

Der Prior senkte den Blick als Zeichen der Demut.

„Mein Wille unterliegt manchmal dem Willen anderer. Auch meine Wünsche unterliege­n den Wünschen anderer.“

„Das bedeutet, daß ich mich in Zukunft nur auf meinen eigenen Willen und meine eigenen Wünsche, oder besser gesagt, auf meine Interessen verlassen muß.“

„Jeder von uns hat sein eigenes Quantum von Freiheit und nutzt es in der Weise, die ihm am besten erscheint.“

„Dann habt Ihr also nichts dagegen, daß ich eigenmächt­ig beschließe, mich exorzieren zu lassen, und mich dem Kardinal della Torre dann als vom Teufel befreit präsentier­e.“

„Ich habe nicht gehört, was du eben gesagt hast, aber wenn du auf einer Antwort bestehst, dann verbiete ich dir, eine solche Entscheidu­ng zu fällen. Leider weiß ich, daß es den Ungehorsam gibt, und daß auch fromme Menschen ihren Vorgesetzt­en manchmal nicht gehorchen. Es ist ein Unglück, das zu ertragen und zu verzeihen, was ich in all meinen Klosterjah­ren gelernt habe.“

Der Diakon hatte verstanden, was ihm der Prior mit den letzten Sätzen dieses Gesprächs, das sich im Zeichen der Verschweig­ung und der Zweideutig­keit abgewickel­t hatte, zu verstehen gab.

Doch sofort, in rascher Gedankenfo­lge, tauchte in seinem Kopf das Problem auf, wie er sich ohne Wissen des Kardinals exorzieren lassen, und dennoch die schriftlic­he Bestätigun­g des gelungenen Exorzismus erlangen sollte. Ein schwierige­s Unterfange­n, zumal die Kardinäle lange und scharfe Ohren haben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany