Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie leben wir, wenn wir alt sind?
Urteil Die meisten möchten in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Aber nicht jedes Haus ist dafür gemacht. Nun klärte der Bundesgerichtshof, welche Ansprüche auf Umbauten es gibt. Zum großen Verlierer wird dabei ein Rentner-Ehepaar
Karlsruhe Ein Rentner-Ehepaar aus einem Plattenbau in Cottbus will auch im hohen Alter noch in seiner Eigentumswohnung im fünften Stock leben können. Aber gegen einen Aufzug im Treppenhaus sperren sich einige Nachbarn. Der Streit landet schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) – und der versagte dem 80-jährigen Ehemann, dem Kläger, am Freitag nun den Fahrstuhl zu seiner Wohnung (Az. V ZR 96/16).
Der Mann lebt mit seiner Frau seit knapp vier Jahrzehnten in der Eigentumswohnung. Für den Fahrstuhl kämpften die Eheleute auch, weil sie zeitweise eine erwachsene Enkeltochter bei sich betreuen, die schwer behindert ist. Notfalls wollten sie sogar die Einbaukosten von rund 94000 Euro selbst schultern.
Das Urteil zeigt, dass sich beim Thema barrierefreies Wohnen nur schwer alle Interessen unter einen Hut bringen lassen. Und das Grund- problem bleibt: Die Menschen werden immer älter – und viele Häuser sind dafür nicht gebaut.
Worum genau ging es?
Die Wohnung gehört den Rentnern, aber ein Umbau im Treppenhaus greift in das Gemeinschaftseigentum ein. Ohne Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer läuft daher nichts. Die Nachbarn des Paars argumentierten, dass auf der Fläche unten im Schacht Räder oder Kinderwagen weichen müssten.
Warum ist der Fall auch für andere interessant?
Vor der Herausforderung, ihre Wohnung altersgerecht umzugestalten, stehen immer mehr Menschen. Laut Deutschem Mieterbund sind nach offizieller Schätzung aber nur 570000 der elf Millionen Seniorenhaushalte und ein bis zwei Prozent aller Wohnungen „barrierearm“. Im ungünstigsten Fall bleibt nur der Umzug. In der vertrauten Umgebung haben alte Menschen aber ihren Arzt, ihren Supermarkt oder ihre Buslinie, gibt Petra Uertz, Bundesgeschäftsführerin des Verbands Wohneigentum, zu bedenken. „Diese Dinge geben Geborgenheit.“
Welche Rechte gibt es auf Umbauten in Mehrfamilienhäusern?
Menschen, die zur Miete wohnen, haben seit 2001 bei „berechtigtem Interesse“einen gesetzlich festgeschriebenen Anspruch auf die Zustimmung ihres Vermieters zu einem behindertengerechten Umbau.
Hat die Regelung etwas gebracht?
Eher nicht, meint Ulrich Ropertz vom Mieterbund. Denn die Interessen des Vermieters oder anderer Mieter können trotzdem schwerer wiegen. Vor allem aber müssen Betroffene die Investition selbst stemmen, für die laufenden Kosten aufkommen und beim Auszug den Rückbau bezahlen. Das Geld kann der Vermieter vorab als Sicherheit verlangen. Ein Aufzug würde damit doppelt kosten. Ein Mieter kann so einen Aufwand realistischerweise gar nicht betreiben – und ihn sich wahrscheinlich auch nicht leisten. Noch schwerer hat es, wer in einer Eigentumswohnung zur Miete wohnt. Er hat zwar den Anspruch gegenüber seinem Vermieter. Diesem sind ohne Rückhalt in der Eigentümerversammlung aber die Hände gebunden.
Warum ist die Durchsetzung hier so schwierig?
Für Eigentumswohnungen gibt es im Gesetz keine eigene Regelung zur Barrierefreiheit. Es gilt nur, dass Umbauten „beschlossen oder verlangt werden“können, wenn alle zustimmen, deren Rechte beeinträchtigt sind. Was das genau bedeutet, war bisher ungeklärt. Im Fall aus Cottbus zieht der BGH jetzt die Grenze: Einen Treppenlift oder eine Rollstuhlrampe für einen Gehbehinderten müssen die Miteigentümer in der Regel dulden. Ein Aufzug bringe aber für die anderen Eigentümer so große Nachteile mit sich, dass der Einbau über ihren Kopf hinweg nicht durchzusetzen ist.