Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Spukt hier der Baron von anno dazumal?
Ortstermin Evelyn Strass’ Urururgroßvater kaufte das Untermeitinger Schloss einst direkt von der Augsburger Patrizierfamilie Imhof. Heute kümmert sie sich mit ihrem Mann um das große Anwesen
Konrad Rieder, der Urururgroßvater von Evelyn Strass, muss ein wahrlich cleverer Mann gewesen sein. Darüber sind sich Evelyn Strass und ihr Ehemann Karl einig. Er hatte im Jahr 1871 das Schloss Untermeitingen samt einiger umliegender Höfe für 2500 Gulden erworben – und dafür sogar einen Kredit bekommen. So steht es im Kaufvertrag, den Evelyn Strass in Händen hält. Dieses ist eines der wenigen Details aus der Historie des Schlosses, die schriftlich besiegelt sind und auch eines der Dinge, die die heutigen Schlossherren von der Geschichte wissen möchten. „Wir leben lieber im Hier und Jetzt“, verrät Karl Strass und beginnt damit auch zu beschreiben, welch große Aufgabe er und seine Frau stemmen.
Im Hause Strass herrscht nämlich Arbeitsteilung: Karl Strass kümmert sich um die Büroarbeit und Evelyn Strass findet man im Sommer im rund 900 Quadratmeter großen Nutzgarten oder beim Handwerken. Um die Kosten für teure Renovierungen im Sinne des Denkmalschutzes so überschaubar wie möglich zu halten, schleift sie beispielsweise selbst die Fenster ab. Das Ehepaar folgt dem Grundsatz: „Kleines erledigen wir selbst, für Großes brauchen wir Profis.“
Bei einer Witterung wie dieser allerdings muss die Schlossherrin Schnee räumen. Dabei sieht sie niemand, denn für die Außenanlagen hat das Ehepaar Unterstützung. Evelyn Strass räumt nämlich auf dem Dachboden Schnee. Bei einer Renovierung im Jahr 1986 wurde der Dachgiebel falsch hinterlüftet – und eben dort weht es die weiße Pracht direkt unters Dach des Südflügels.
Unters Dach des Südflügels ist Evelyn Strass erst mit ihrem Mann gezogen. Als Kind ist sie im Nordflügel des Gebäudes aufgewachsen. Heute lebt dort noch ihre Mutter, Erna Rieder. Ihre Wohnung erreicht die heute 90-Jährige über die barocke Eichentreppe, eine doppelte Rampentreppe aus dem Jahr 1750.
Einst boten die Amerikaner Eve- lyn Strass’ Vater für eben diese Treppe 45000 Dollar, doch er verkaufte nicht. Vielmehr versah er sie mit einem ungewöhnlichen Detail, dessen Geschichte wohl kaum einer kennt: Aus dem Handlauf ragen kleine Kupfernägel empor. Diese hatte Evelyn Strass’ Vater einst dort angebracht, um seine Tochter davon abzuhalten, das Geländer hinunterzurutschen.
Sehr erfolgreich war er nicht mit seinem Plan, verrät sie heute: „Ich bin trotzdem runtergerutscht“, erinnert sie sich an ihre Kindheit zurück, in der sie meist Lederhosen trug und jede Menge Schabernack im Kopf hatte.
Die Nachmittagsruhe der Mutter nutzte sie, um auf dem Land herumzutoben, das damals noch aktiv bewirtschaftet wurde. Und als jeder glaubte, dass sie brav im Bett liege, fand Evelyn Strass eine Möglichkeit, um dem Balltreiben (versteckt unter einem Tisch) in eben dem Saal zuzuschauen, in dem heute ein Brautmodengeschäft Mädchenträume wahr macht.
Eine andere Geschichte über das Lager eben dieses Brautmodengeschäfts ruft indes eher Gänsehaut hervor. Das Brautkleid-Lager befindet sich direkt unter der Küche von Evelyn und Karl Strass. „Da geht der alte Baron von Imhof um“, hat Evelyn Strass’ Tante stets behauptet und auch die Schlossherrin selbst hört manchmal Geräusche aus eben diesem Raum.
Das gespenstische Klopfen, das Karl Strass regelmäßig wahrnimmt, hat indes eine ganz einfache Erklärung. Als 1990 die Zentralheizung verlegt wurde, wurden die Rohre zu nah an den Ziegeln entlanggeführt. Und so klopfen eben diese manchmal an die Ziegel und spielen Schlossgespenst für all die unwissenden Besucher.
Und trotz Erklärbarem und Unerklärlichem ist das Ehepaar Strass vor allem eins: weit entfernt von blauem Blut. Zur Vorstellung eines Geschichtsbuches über die Patrizierschlösser im Landkreis Augsburg reiste Evelyn Strass in eine Augsburger Bücherei, doch zwischen Baronen und Fürsten fühlte sie sich alles andere als wohl. Wenn das Ehepaar Strass in Erinnerungen schwelgt, dann tun sie das ganz privat. Dann werden alte Aufnahmen gezückt, die so manches ungewöhnliche Detail wie dieses aufzeigen: Bis 1957 waren das Schloss und die Kirche Sankt Stephan über einen Steg miteinander verbunden. Evelyn Strass hatte also als Kind ihren eigenen privaten Zugang zur Messe.
Und auch ihr Mann hat sich in die Geschichte des Schlosses auf seine Art und Weise eingelebt. Im Internet hat er einen historischen Gulden aus dem Jahr 1871 ersteigert. Mit einer Münze aus diesem Jahr hat der Urururgroßvater seiner Gattin einst den Grundstein dafür gelegt, dass das Ehepaar Strass heute im Untermeitinger Schloss leben kann.