Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie ernst ist der Aufklärungswille der Koalition?
Kommt wirklich ein Untersuchungsausschuss im Fall Amri? Im Wahljahr wird die Zeit knapp
Die Erleichterung im Hause von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ist groß. Denn nach Sichtung der Unterlagen steht fest: Der Tunesier Anis Amri, der am 19. Dezember den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz verübte und dabei zwölf Menschen tötete, arbeitete nicht für die Sicherheitsbehörden des Bundes.
Er könne klar sagen, das Amri „zu keinem Zeitpunkt weder V-Mann des Bundeskriminalamtes noch des Bundesamtes für Verfassungsschutz war“, sagte ein Sprecher de Maizières am Montag in Berlin, zudem hätte keine der beiden Institutionen jemals versucht, ihn als V-Mann anzuwerben. Ob diese Aussage „in Absolutheit auch für dritte Stellen gilt“, also auch für Landesämter für Verfassungsschutz, entziehe sich allerdings der Kenntnis des Innenministeriums. Dafür seien die Länder zuständig.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Justizminister Heiko Maas (SPD) legten am Montag eine 19-seitige Dokumentation vor, in der das komplette Handeln aller im Falle Amris beteiligten Behörden aufgelistet ist – von seiner Einreise nach Italien am 4. April 2011 bis zum Anschlag am 19. Dezember 2016 und dem Eingang des tunesischen Ersatzpasses drei Tage später. Demnach war der spätere Attentäter seit November 2015 regelmäßig im Visier der Behörden.
Am Montagnachmittag beschäftigte sich das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags in einer Sondersitzung mit diesem Bericht, am morgigen Mittwoch steht der Innenminister dem Innenausschuss Rede und Antwort. „Amri hätte aus dem Verkehr gezogen werden können“, sagte der Vizevorsitzende des Kontrollgremiums, André Hahn (Linke). Der Grünen-Politiker Christian Ströbele deutete an, dass es möglicherweise sehr wohl eine Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden und Amri gegeben haben könnte. Die gegen ihn anhängigen Verfahren etwa wegen Sozialbetrugs seien alle eingestellt worden. „Wer hat daran gedreht?“, fragte er.
Nach den Vorstellungen der CDU/CSU-Fraktion soll ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Bundestags die Hintergründe des Berliner Anschlags aufklären. Doch dem Bundestag läuft die Zeit davon. Bis zum Ende der Legislaturperiode sind nur noch elf Sitzungswochen angesetzt, am 30. Juni tagt das Parlament zum letzten Mal vor der Bundestagswahl. Bis das Gremium eingesetzt worden ist, sich konstituiert, die gemeinsame Fragestellung und die Zeugenliste beschlossen sowie die entsprechenden Unterlagen angefordert hat, könnte es März werden: Spätestens im Mai müssten die Befragungen schon wieder abgeschlossen sein, um rechtzeitig den Abschlussbericht vorlegen zu können.
„Sicherlich ist die Zeit bis zur Bundestagswahl knapp“, räumte der CSU-Innenexperte Volker Ullrich (Augsburg-Stadt) gegenüber unserer Zeitung ein, dennoch könne sie reichen, um die wesentlichen Fragen zu klären. „Die offenkundigen Versäumnisse und Pannen im Fall Amri müssen parlamentarisch aufgearbeitet werden.“Da davon mehrere Bundesländer betroffen seien, sei eine Aufklärung auf Bundesebene notwendig. „Besser einen kurzen Untersuchungsausschuss als eine nur allzu oberflächliche Aufklärung“, sagte Ullrich. Sollte es weiteren Aufklärungsbedarf geben, könne der neue Bundestag im Herbst erneut einen Untersuchungsausschuss einsetzen.
Die SPD favorisiert hingegen die Einsetzung eines unabhängigen Sonderermittlers, der ohne Zeitdruck arbeiten könne. Die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen, Volker Kauder (CDU), Thomas Oppermann (SPD) und Gerda Hasselfeldt (CSU) wollen heute das weitere Vorgehen besprechen.