Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Unterwegs in muffigen Nestern
Literatur Thomas Bernhards Beschimpfungen von Städten sind so berüchtigt wie berühmt. Jetzt sind sie gesammelt erschienen. Und natürlich fehlt darin nicht eine Stadt am Lech
Es gibt unter den deutschsprachigen Schriftstellern jüngerer Zeit wohl keinen, der sich so auf die Tirade, aufs Anschwärzen, Zetern, Herunterputzen verstand wie Thomas Bernhard (1931-1989). Der Österreicher, ein Mensch mit Neigung zur Misanthropie, der in seinem Werk immer traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend aufarbeitete, hielt mit seiner Meinung über andere nicht hinterm Berg. Schon gar nicht, wo er Stumpfsinn witterte – welchem er in seiner Heimat in jedem Winkel zu begegnen meinte. Versteht sich, dass Skandale den Karriereweg des „Nestbeschmutzers“Bernhard pflasterten.
Geistesferne und Kunstfeindlichkeit, für den Autor ausnahmslos Todsünden, hat Thomas Bernhard vor allem da vermutet, wo die „Masse“zusammenkam, in Städten, in Gemeinwesen jeglicher Größe. Seine Dramen und Prosaschriften sind gespickt mit entsprechenden Auslassungen über real existierende Orte, und eigentlich macht es staunen, dass Suhrkamp, von alters her der Bernhard’sche Hausverlag, erst ein gutes Vierteljahrhundert nach dem Ableben seines Autors die Idee ins Werk setzte, all diese „Städtebeschimpfungen“einmal gebündelt der Leserschaft vorzulegen. Nun aber hat Cheflektor Raimund Fellinger 50 Städte alphabetisch aufgelistet und ihnen Beschimpfungen aus Bernhard-Werken zugeordnet – von A wie Altaussee („Nazinest“) bis Z wie Zell am See („finster“).
Das zu lesen ist vergnüglich, umso mehr, als der Autor sich eines variantenreichen Arsenals zur Attacke bedient. Wobei Höhepunkte natürlich immer dort stattfinden, wo der Wortgewaltige sich des schweren Geschützes bedient. Geradezu biblisch vernichtend ist er etwa über die im Salzburgischen gelegene Gemeinde Goldegg-Weng niedergefahren. Um den literarischen Donnerschlag ermessen zu können, der sich über dem Flecken entlud, sei die Passage aus Bernhards Roman „Frost“(1963) hier ausführlich wiedergegeben: „Tatsächlich erschreckt mich diese Gegend, noch mehr die Ortschaft, die von ganz kleinen, ausgewachsenen Menschen bevölkert ist, die man ruhig schwachsinnig nennen kann. Nicht größer als ein Meter vierzig im Durchschnitt, torkeln sie zwischen Mauerritzen und Gängen, im Rausch erzeugt.“Und weiter: „Alle haben sie da versoffene, bis zum hohen C hinaufgeschliffene Kinderstimmen, mit denen sie, wenn man ihnen vorbeigeht, in einen hineinstechen.“
Solches war natürlich eine Steilvorlage für einen der zahlreichen Bernhard’schen Skandale, vollends dann, als dem Schriftsteller der Österreichische Staatspreis zugesprochen wurde. Ein Umstand, der staats- und heimatverbundene Gemüter zum Kochen brachte. Abgeordnete des Salzburger Landtags, so haben es die Sitzungsprotokolle festgehalten, empörten sich, wie eine Preisvergabe an einen solchen Ehrabschneider überhaupt möglich sei, und auch die Gemeinde Goldegg beklagte sich schriftlich beim zuständigen Ministerium in Wien. Um freilich listig hinzuzufügen: „Die Auswirkungen auf den Fremdenverkehr in unserer Heimat kann sowohl positiv als auch negativ sein.“Schön, dass der jetzt erschienene Sammelband der „Städtebeschimpfungen“in ausgewählten Fällen auch solche Kollateralerscheinun- gen der Bernhard’schen Wortverwüstungen dokumentiert.
Der Schriftsteller, heutzutage längst Nationalheiliger der Literatur seines Landes, hat aber nicht nur seiner hassgeliebten Heimat ans Schienbein getreten, sondern gerne auch gegen deutsche Siedlungszentren gewettert. Mal traf es Bremen, „eine kleine unzumutbar sterile Stadt“, mal München, wo er die „hundsgemeine Hinschlachtung“eines seiner Stücke beklagte, ein andermal Regensburg: „Kirchen und enge Gassen, in welchen immer stumpfsinniger werdende Menschen dahinvegetieren“. 1974 geriet ihm eine Stadt in Bayerisch-Schwaben ins Fadenkreuz, in seinem Stück „Die Macht der Gewohnheit“, das in jenem Sommer Uraufführung bei den Salzburger Festspielen hatte. In der Komödie probt ein durch die Lande ziehender Zirkus Schuberts „Forellenquintett“, und mehrfach fällt hier, Seufzer und Ansporn zuan gleich, aus dem Munde des Zirkusdirektors der Satz: „Morgen in Augsburg.“Doch das rückenschmerzgeplagte Artistenoberhaupt lässt es nicht dabei bewenden, sondern holt schließlich zum Keulenschlag aus: „Gibt es denn in Augsburg / überhaupt einen Arzt / einen Rheumaspezialisten / in diesem muffigen verabscheuungswürdigen Nest / in dieser Lechkloake?“
Kaum wehten diese fünf Zeilen von Salzburg herüber, war es um die Ruhe in Augsburg geschehen. Der damalige Oberbürgermeister Hans Breuer sah sich bemüßigt, seine Bürger in Schutz zu nehmen, indem er dem Schmutzfink eine briefliche Einladung aussprechen ließ, für drei Tage auf Stadtkosten an den Lech zu kommen. „Und dann wird Herr Bernhard sicher bald sehen und fühlen und riechen, dass Augsburg ja von einer 2000-jährigen Geschichte geprägt, aber doch eine schmucke und muntere Großstadt ist, mit quellreinem Trinkwasser und mit sauberen Bürgern.“
Tage-, wochenlang machte sich die kollektiv verwundete Augsburger Seele in allen nur erdenklichen Stellungnahmen Luft. Thomas Bernhard, der die Einladung auf Rechnung der Stadt ignorierte, wagte sich gleichwohl in die Höhle des Löwen, als er unangekündigt in der Kulturredaktion der Augsburger Allgemeinen auftauchte und dort Rede und Antwort stand. „Es war doch nur ein Spaß“, versuchte er zu dämpfen. „Ich hätte auch Nürnberg sagen können, aber Augsburg klingt halt besser.“Besänftigt hat das die Bürger nicht.
Raimund Fellinger, der Herausgeber der „Städtebeschimpfungen“, weist in seinem Nachwort auf eine weitere Feststellung des Schriftstellers hin, die er wenige Tage vor seinem Besuch in Augsburg äußerte: „Mein Mitgefühl mit den Augsburgern und allen in Europa, die sich als Augsburger verstehen, ist ungeheuer grenzenlos und absolut.“Provinz, soll das wohl heißen, ist überall. Und vielleicht ist das überhaupt der Sinn all dieses von Ort zu Ort springenden Schimpfens, ob nun über Goldegg-Weng oder Bremen, über Regensburg oder Augsburg (und gewiss viele weitere große und kleine Städte, hätte Bernhard nur weitergeschrieben): Der Geist hat abgedankt.
Sieht man sich heute um, mag man die Diagnose des Dichters, zumindest für manche Weltgegenden, für geradezu prophetisch halten.
» Thomas Bernhard: Städtebeschimp
fungen. Suhrkamp TB, 178 S., 9 ¤