Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Auf schwarzen und weißen Schwingen
Tanz Russisches Nationalballett serviert Tschaikowski familiengerecht in Gersthofen
Prinz Siegfried durchstreift ungeduldig die Wälder seines Königreichs, um endlich eine passende Prinzessin für sich zu finden. An einem nebelverhangenen See trifft er schließlich auf Odette, eine geheimnisvolle Gestaltenwandlerin, verflucht vom schwarzen Magier Rotbart: Tagsüber muss sie ihr Leben als Schwanentier fristen, nur von Mitternacht bis Morgengrauen ist sie ein Mensch. Dennoch kommt es zum großen Freudenfest, doch statt Odette erscheint dort etwas sehr viel Unheimlicheres: der berüchtigte schwarze Schwan... das Russische Nationalballett verwandelte den Bühnenklassiker Schwanensee von Peter Tschaikowski in eine kindgerechte Adaption und nahm damit in der Gersthofer Stadthalle Jung und Alt in ein buntes Märchenreich voller Tänze, Farben und aufwendiger Kostüme mit.
Zum besseren Verständnis der Handlung führte eine exotische Geschichtenerzählerin zwischen den Darbietungen in die Handlungsstränge der einzelnen Akte ein. Das berauschende Bühnenfest zu Beginn des Ballettabends ließ dann vor allem die Kinderherzen höherschlagen: Funkelnder Glitzerstaub, bunte Harlekine, freudige Massentänze und nicht zuletzt eine detailverliebte Auswahl märchenhafter Gewänder entführten das Publikum in eine zauberhafte Fantasiewelt, in welcher Orte und Zeiten bald zu Nebensächlichkeiten wurden.
Doch spätestens am geheimnisvollen Schwanensee zeigte sich, dass diese Inszenierung ihr Augenmerk auch sehr auf die düsteren Elemente der Handlung legte: Wirkte die verwunschene Nebelgrotte beim berühmten Tanz der vier kleinen Schwäne noch wie ein filigraner Traum, wurde sie beim pathetischen Auftritt des schwarzen Zauberers Rotbart durch blutrote Licht- und Nebeleffekte schnell zum Eingang einer dämonischen Unterwelt, die ihre drohenden Schatten auf das kommende Geschehen vorauswerfen sollte.
In der Pause zeigte sich dann jedoch ein nettes Bild auf den Gängen des Foyers: An allen Ecken sah man kleine Mädchen, die beobachteten, Ballettfiguren nachahmten oder sich wie ihre großen Vorbilder lachend um die eigene Achse drehten. Doch während der erste Teil der Aufführung vielleicht noch ein klein wenig zurückhaltend wirkte, brach in der zweiten Hälfte der Geschichte dann wahrhaftig die Hölle los: Beschwingte Walzer wichen donnernden Paukenschlägen und wehklagenden Violinenstrichen, die Tänzerinnen der dunklen Seite gewannen die Oberhand.
Dabei war es immer wieder erstaunlich, mit welcher Kraft in den Beinen der dunkle Magier Rotbart bei seinem theatralischen Erscheinen über die Bühne sprang und sekundenlang in den Lüften zu verharren schien. Beim großen Abschlussfest am Ende zogen die Tänzer schließlich nochmals alle Register an Bewegungsstilen und Figuren: Vom spanischen Flamenco bis hin zu jiddischen Klezmertänzen schwebten die Darsteller über die Bühne, wobei beim russischen Kosakentanz wahre Jubelstürme im Publikum ausbrachen.
Schwanensee ist immer wieder aufs Neue spannend, denn spätestens seit dem Hollywoodfilm „Black Swan“weiß auch das breitere Publikum, worin die größte Schwierigkeit in der Inszenierung besteht: Die Primaballerina muss sowohl den unschuldigen weißen Schwan als auch den teuflischen schwarzen Schwan verkörpern, und in der Regel gelingt einer der Charaktere immer einen Hauch überzeugender als der andere.
Anders als im Film war es hier eindeutig die dunkle Seite der Medaille, die ein kleines bisschen heller funkelte – und dennoch in kindgerechter Weise in Szene gesetzt wurde. Insgesamt präsentierte das Russische Nationalballett eine liebevolle und sehr atmosphärische gestaltete Aufführung, die für eine spannende zeitlose Geschichte über Einsamkeit, Leidenschaft und Schmerz erzählte.