Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Prominente Farbtupfer im Reichstag
Bundespräsident II Weil die Spannung bei der Wahl Steinmeiers fehlt, rücken Schauspieler, Künstler und Sportler unter den Wahlfrauen und -männern noch stärker in den Mittelpunkt. Auch die Politiker genießen die Präsenz der Stars
Wie eine überdimensionierte Zuckerwatte überstrahlte das rotorange Haar der Dragqueen Olivia Jones den Tag im Reichstag. Der kurze Plausch der exaltierten Wahlfrau mit Bundeskanzlerin Angela Merkel löste heftige Unruhe unter den Fotojournalisten aus – ein Topmotiv an diesem Tag. Jones genoss die Aufmerksamkeit in vollen Zügen. „Das ist für mich wie Abenteuerurlaub“, sagte Jones am Sonntag dem Sender Phoenix vor Beginn des Wahlgangs. „Ich freue mich sehr auf den heutigen Tag.“
Die Atmosphäre im Reichstag inmitten vieler Politiker und einiger Prominenter beschrieb sie als „sehr herzlich und locker“. Die in Türkis gekleidete Jones beschrieb sich selbst als eine Botschafterin „gegen Diskriminierung und für Toleranz“. Den Politikern riet sie, mehr auf Verständlichkeit zu achten. Sie redeten „manchmal viel zu kompliziert“, sagte Jones. Viel Lob hatte sie für den Kandidaten von Union und SPD, Frank-Walter Steinmeier. Der frühere Außenminister wird auch von den Grünen unterstützt, die Jones als Wahlfrau aufgestellt hatten. Steinmeier sei ein souveräner und kluger Politiker. „In der heutigen Zeit können wir viel mehr Steinmeiers gebrauchen.“
Dass es doch gut ist, dass Vielfalt herrscht, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, die neben den beiden stand. Jones setzt sich für die Gleichstellung von Homo- und Transsexuellen ein, die CDU will die Homo-Ehe nicht erlauben. Gesprächsstoff hätten die beiden also mit Sicherheit nicht nur für Smalltalk im Bundestag.
Wie schon gewohnt bei der Kür des Bundespräsidenten mischte sich auch gestern in Berlin eine ganze Reihe von Prominenten unter die Politiker. Die Atmosphäre war einen Tick entspannter als bei den letzten Wahlen des Staatsoberhaupts. Das lag wohl in erster Linie an dem Umstand, dass es keinen Zweifel daran gab, dass Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf Joachim Gauck folgen würde.
Schon vor der Wahl erklärte die Schauspielerin Iris Berben, was sie an Steinmeier schätzt: „Er könnte es schaffen, die Menschen einzusammeln, die uns verloren gegangen sind. Er kann zuhören, er kann reden und er kann schweigen.“
Fußball-Bundestrainer Jogi Löw hatte für den Fußballfreund, der einst selber in seiner Jugend im Verein spielte, dazu eingeladen, die Nationalmannschaft bei einem der nächsten Spiele in der Kabine zu besuchen. „Er ist jederzeit herzlich willkommen“, sagte er am Sonntag nach der Wahl. Löw war von den Grünen als Delegierter nominiert worden. Er begrüßte die Wahl Steinmeiers. „Ich glaube, er steht für viele gute Werte, und ich glaube, er wird dieses Amt hervorragend bekleiden.“Der Bundestrainer lobte vor allem die Ehrlichkeit, Offenheit und Toleranz Steinmeiers. Der 61-jährige Steinmeier hat früher selbst Fußball gespielt und ist Fan von Schalke 04.
Mit Roland Kaiser feierte die SPD schon am Vorabend. Der Schlagerstar gehörte auch zu ihren Wahlmännern und wollte nicht ausschließen, für Frank-Walter Steinmeier ein Konzert im Schloss Bellevue zu geben: „Wenn er mich fragt, mache ich das.“
Und Steinmeier selbst? Der war in aufgeräumter Stimmung. Was auch daran gelegen haben mag, dass er sich auf die vor ihm liegenden Wochen ohne formelles Amt freuen kann. „Ich finde das gut“, sagte er am Sonntag in der ARD. Steinmeier tritt das Bundespräsidenten-Amt am 19. März an. Am 27. Januar hatte er das Außenministerium an Sigmar Gabriel (SPD) übergeben. Er müsse auch „Abschied nehmen“von der Verantwortung und dem Alltag als Außenpolitiker, sagte Steinmeier. Die Phase zwischen den beiden Aufgaben sei für ihn „eigentlich eine gute Möglichkeit, um runterzukommen“.