Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Grabräuber lassen Funde schrumpfen
Archäologie Oberbaarer Gräberfeld war bei Dieben einst sehr beliebt. Was die 100 Körpergräber erzählen können
Im Frühjahr sollen die ersten Kräne im Baugebiet „Zeintl“in Oberbaar anrücken. Die restlichen Bauplätze werden gerade verkauft. Wenig deutet auf das hin, was hier 2015 ausgegraben wurde: exakt 100 Körpergräber. Eine Überraschung war das nicht, galt Baar doch schon seit Jahrzehnten als Fundort für Historisches. Blickt man auf die ersten Untersuchungsergebnisse, zeichnen sich erstaunliche Parallelen zu den früheren Entdeckungen ab.
Bei den Grabfunden aus den 1970er-Jahren war im Vergleich zu 2015 deutlich mehr Grabausstattung vorhanden. Sekundäre Graböffnungen – wie der „Grabraub“im Fachjargon heißt – waren damals in 30 Prozent der Fälle zu beobachten. Bei den jüngsten Funden geht man gleich bei 93 Gräbern davon aus. Was diese Vermutung untermauert, erklärt Ruth Sandner vom Landesamt für Denkmalschutz so: Verfärbungen beim Freilegen der Gräber lassen Öffnungen erkennen, die später als das Grab angelegt worden sein mussten. Sie zeichnen sich durch abweichende Farbe oder auch Zusammensetzung des Materials ab.
Bei einem Fundstück aus den 1980er-Jahren war auch die böse Rede von „Grabraub“, allerdings stand dahinter ein jahrzehntelanger erbitterter kommunaler Streit. Der wurde erst Anfang des Jahrtausends geschlichtet: Thierhaupten und Baar zankten sich um eine Bronzekanne. Das 21 Zentimeter hohe Gefäß ohne Henkel und Boden ist rund 1300 Jahre alt und wird von Wissenschaftlern als „koptischer Typ mediterraner Provenienz“bezeichnet. 1982 entdeckte eine Familie aus dem Ortsteil Lechlingszell in einer Grube die wertvolle Kanne. Dorthin hatte man Aushub geschafft, der beim Straßenbau angefallen war. Fritz Hölzl, Bürgermeister von Thierhaupten, nahm das auf den ersten Blick unscheinbare Bronzegefäß mit. Denn Baar gehörte nach der Eingemeindung 1978 offiziell zum Markt Thierhaupten, und dort wurde die Kanne auch verwahrt. Doch dann schrieb Baar seine „Befreiungsgeschichte“und wurde 1994 nach langem Kampf wieder selbstständig, wechselte in den Landkreis Aichach-Friedberg – und wollte die Kanne zurück. Thierhaupten wollte sie nicht hergeben und rückte auch einen Mammutzahn nicht raus, der in einer Sandgrube bei Baar freigelegt worden war. Salomonisch war die Lösung: Die Kanne steht in München in der Archäologischen Staatssammlung. Die Kommunen erhielten je eine Kopie.
Die aktuellen Funde sind nicht umstritten, aber sehr interessant: Langsaxe (Messer), Riemenzungen, Gürtelgarnituren, Drahtohrringe, Nieten mit geperltem Rand, Ösennadeln und Textilien lassen Rückschlüsse auf die Datierung zu, die in der späten Merowingerzeit (zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts) festzumachen ist. Damals gab es feste Trachtbestandteile, die als Grabbeigaben benutzt wurden. Im Baugebiet am „Zeintl“liegt die Vermutung nahe, dass entweder Grabräuber am Werk waren oder es von vornherein weniger Beigaben gab.
Was gefunden wurde, erzählt eine spannende Geschichte. Im Doppelgrab 110/172 fand man Einzelteile aus fragmentierten Goldblechstreifen. Zusammengesetzt ergeben sie ein Goldblattkreuz, das im Schulterbereich des Leichnams angebracht gewesen sein muss. Dies deutet bei Historikern auf zweierlei hin: einen christlichen Totenbrauch und dass es das Grab eines aus der vermögenden Oberschicht Stammenden sein könnte – eine Parallele zum 1982 gefundenen Bronzekrug, der im selben kulturhistorischen Kontext steht.
Dass es soziale Unterschiede gegeben haben muss, lässt die Grabanordnung vermuten, die in der Regelhaftigkeit eindeutig auf das Mittelalter schließen lässt und im Detail spannende Besonderheiten aufweist. Dazu zählen die drei Kreisgräben mit 15 Meter Durchmesser in Nord-Süd-Ausrichtung. In der Mitte befand sich je ein Körpergrab. Ein Hinweis auf ein Grab eines sozial höher Gestellten? Möglich!
Die meisten anderen Gräber sind vermeintlich unkoordiniert angeordnet. Darüber machten die Historiker Spurrinnen aus, die auf eine Straße hindeuten. Gerade das Doppelgrab 110/172 ist in strenger Nord-Süd-Ausrichtung mit vier weiteren Gräbern angeordnet. Ein Indiz, dass hier eine enge Verbindung bestand? Ebenfalls möglich!
Einige der Fragen könnte eine anthropologische Untersuchung beantworten, die noch andauert. Dabei können mit Blick auf Körperbau und Skelett Rückschlüsse auf Geschlecht und sozialen Status des Toten gewagt werden. „Wer zerschundene Knochen hat, war vermutlich eher jemand, der körperlich schwer arbeiten musste“, nennt Sandner ein Beispiel. Wären die Knochen in einem guten Zustand, wäre das ein weiteres Indiz für Menschen mit höherem Status.