Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Auf Distanz zur eigenen Regierung
Geht noch was in der Großen Koalition? Oder ist der Vorrat an Gemeinsamkeiten aufgebraucht? Die Indizien häufen sich, dass Union und SPD ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl in Kernfragen der Politik auf Distanz zueinander gehen und ihr eigenes Profil schärfen – notfalls auch auf Kosten der Regierung.
Für den Wahlkampf ist das keine schlechte Nachricht. Nach zuletzt zwei reichlich müden Auseinandersetzungen, in denen Angela Merkel die SPD zermürbte und die Wähler einschläferte, sind eine deutliche Abgrenzung der beiden Regierungsparteien und ein Herausarbeiten der eigenen Positionen unabdingbar, um bei den Bürgern zu punkten.
Das allerdings nimmt Union und SPD nicht aus der Pflicht, bis zum Ende der Legislaturperiode vernünftig zusammenzuarbeiten. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist – nicht in die Kabinettsund Koalitionsdisziplin eingebunden – offenbar fest entschlossen, schon in der Großen Koalition die Grundlagen für ein rot-rot-grünes Bündnis zu legen und etliche Stolpersteine frühzeitig aus dem Weg zu räumen. Keine schnelle Kürzung des Kindergeldes für EU-Ausländer, baldige Aufhebung der Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge aus Syrien, Absetzung des Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht von der Tagesordnung des Bundestages – die SPD revidiert nicht nur ihre Sozialpolitik, sondern geht nun auch in der Ausländerpolitik auf Distanz zum eigenen Regierungshandeln. Sie nähert sich so den Wunsch-Koalitionspartnern an. Der Wahlkampf ist eröffnet.