Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Kunst des Schönschre­ibens

Trend Die Lust an der Handschrif­t soll wieder neu entdeckt werden – zum Beispiel mit einem Kalligrafi­e-Kurs

- VON GÜNTER STAUCH

Für die „Lange Nacht des Schreibens“am morgigen Donnerstag wird Landrat Leo Schrell kaum Zeit finden. Ist er doch viel beschäftig­ter Behördenle­iter und Kreispolit­iker mit abendfülle­nden Terminverp­flichtunge­n. Auf seinem Schreibtis­ch türmen sich Seitenblät­ter mit etlichen handschrif­tlichen Vermerken, der Chef akzeptiert handproduz­ierten Schriftver­kehr im Hause, und Anträge vom Bürger lässt er auch mal mit persönlich gefasster Aufzeichnu­ng durch. Ganz im Sinne der bundesweit­en „Initiative Schreiben“. Sie hat diesen „Gedenktag“auf die Beine gestellt, um bei Bürger, Schulen, Institutio­nen und Fachgeschä­ften auch in unserer Region „die Lust an der Handschrif­t und am Schreiben neu zu entfachen.“Beim Blick in die nordschwäb­ischen Schreibstu­ben könnten Skeptikern die schlimmste­n Befürchtun­gen genommen werden. „Die Generation Smartphone liebt nämlich die Handschrif­t, die zutiefst wertgeschä­tzt wird und gerade im digitalen Zeitalter ein hohes Zukunftspo­tenzial hat“, meint jedenfalls die Schreib-Initiative, die in ganz Deutschlan­d Städte und kleinere Kommunen „zu einer breiten Gemeinde von Schreibfre­unden und -fans“versammeln möchte. Sie weist auf einschlägi­ge Untersuchu­ngen zu dem Thema hin, etwa, wonach bei rund neun von zehn Bundesbürg­en in Handgeschr­iebenem ein besonderer Wert gesehen werde. Drei von vier Menschen würden sich wünschen, dass in Zukunft wieder mehr von Hand geschriebe­n werde. Dafür muss Julia Hank nicht erst durch die Bundesländ­er reisen und den Leuten Fragen stellen. Weiß doch die 26-jährige gelernte Buchhändle­rin, was bei „Bücher Brenner“so den ganzen Tag über den Ladentisch geht: Fachbücher zum Thema Kalligrafi­e, die Kunst des Schönschre­ibens. Oder „Handletter­ing“, die Fertigkeit­en der schönen Buchstaben (Topp Verlag). Zwar kann sich das Haus wegen Umbauarbei­ten nicht an der Bundesakti­on beteiligen. Aber: „Da ist ein Trend spürbar – vor allem bei den jungen Bürgern.“Was sich auch in ihrem Freundeskr­eis bestätigt, interessie­ren sich ausgerechn­et Vertreter der Youtube-Generation – Männer und Frauen zwischen elf und 30 – für die vermeintli­ch altbackene Literatur. „Darin steckt unglaublic­h viel Potenzial.“Bemerkt auch Christine Gerblinger bei ihrem Umgang mit Kunden in Wertingen. Dort wird der Schreibabe­nd mit einem kurzen Schnupperk­urs im Schönschre­iben eingeleite­t und dann heftig zu Feder und Tinte gegriffen.

Nachhilfe bei diesem Fach haben auch zumindest Bayerns Schulen kaum nötig. Ist dem Bayerische­n Kultus- und Bildungsmi­nisterium doch klar, dass die Handschrif­t „trotz E-Mail, WhatsApp und Textverarb­eitungspro­grammen weiterhin ihre Bedeutung hat“, wie es in einer „Handreichu­ng“an die Grundschul­en des Freistaats heißt: „In Schule und Unterricht ist das Schreiben mit der Hand ein Unterricht­sprinzip, das viele Lernbereic­he durchdring­t und aktives, selbststän­diges und selbst gesteuerte­s Lernen ermöglicht.“Wie gut diese Vorgabe aus München von den Lehrern umgesetzt wird, davon kann sich Schulamtsd­irektor Markus Wörle (Dillingen) bei seinen täglichen Besuchen von Bildungshä­usern ein genaues Bild verschaffe­n: „Das steht ganz stark im Fokus.“Schließlic­h benötigten die Pädagogen zur Auswertung eine lesbare Arbeit seitens der Schüler. Dass man dabei dennoch mitunter „detektivis­che Grundkennt­nisse“einsetzen muss, erfährt etwa Winfried Heppner immer wieder. Der stellvertr­etende Schulleite­r am Gymnasium in Wertingen denkt da an das „selbstvers­tändlich von Hand geschriebe­ne Abitur“. Manche Schüler schrieben wunderschö­n, andere wiederum in Krakelform. „Das ist bei uns aber kein K.-o.-Kriterium.“

Fotos: Bernhard Weizenegge­r

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