Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Reporter mit dem Kohlestift
Zeitgeschichte Der Pressezeichner Emil Stumpp porträtierte die Größen der Weimarer Republik. Eine Ausstellung erinnert an den einzigartigen Künstler, der sich seine Bildnisse signieren ließ
Er war ein manischer Arbeiter, ein Genie des Augenblicks und ein Menschenfreund, ein Reporter mit dem Kohlestift, der sein Gegenüber in staunenswerter Präzision und Sensibilität erfassen konnte. Emil Stumpp war als Künstler ein Autodidakt. Er arbeitete als Pressezeichner, war überzeugter Pazifist und leidenschaftlicher Kosmopolit. Seine große Zeit waren die 1920er Jahre, alle berühmten Köpfe der Weimarer Republik hat er in persönlichen „Sitzungen“gezeichnet – mit einzigartigem Gespür für Psychologie und Physiognomie.
Wenn er nur 15 Minuten hatte, genügten ihm 15 Minuten. Seine Porträts wurden regelmäßig in den großen Blättern gedruckt. Zeichnungen waren begehrte Illustrationen, denn damals waren Fotografien in Zeitungen nur unzulänglich druckbar. Stumpp hatte sie wirklich alle – Staatsmänner, Künstler, Schriftsteller, Journalisten, Wissenschaftler, Schauspieler, Sportler. Ein Who is who wie aus dem Lexikon: Thomas Mann, Bert Brecht, Käthe Kollwitz, Albert Einstein, Hans Albers, Kurt Tucholsky, Heinrich Zille, Max Liebermann …
Etwa 15 000 Porträts hat der 1886 geborene Emil Stumpp gezeichnet in seinem rastlosen Leben, das elend endete in Nazihaft, wo er 1940 an Hunger und Schwäche starb. Es waren zwei wenig schmeichelhafte Zeichnungen von Adolf Hitler, die – veröffentlicht 1932 und 1933 im linksliberalen Dortmunder GeneralAnzeiger, damals die größte Zeitung außerhalb Berlins und Stumpps fester Auftraggeber – das erfolgreiche Berufsleben des Künstlers jäh zerstörten. Die Nazis wandelten das Blatt 1933 in ein Parteiblatt um.
Emil Stumpps Leben und sein einzigartiges Werk als Chronist seiner Zeit beleuchtet nun eine aufschlussreiche und fein gestaltete Ausstellung im Grafischen Kabinett der Kunstsammlungen. Im Mittelpunkt stehen 40 Lithografien, die zeigen, wie differenziert und individuell Stumpp porträtierte und zeichnete – und welche berührende Lebendigkeit von diesen Menschenbildern ausgeht. Kuratiert und aus eigenen Beständen bestückt wurde die Präsentation von Martin Welke, dem enthusiastischen Privatforscher, und seiner Stiftung Deutsches Zeitungsmuseum. Deren einzigartige Sammlung zum Zeitungswesen ist in Augsburg eingelagert. Welke kämpft noch immer um einen Ort, um seine Zeitungssammlung zu präsentieren – am liebsten in Augsburg.
Christof Trepesch, Leiter der Kunstsammlungen und seit Jahren ein Fürsprecher Welkes, vergleicht ihn mit Stumpp: Wie jener, der einst seine Stelle als Gymnasiallehrer aufgegeben hatte, um freier Künstler und Zeitungszeichner zu werden, habe Welke vor Jahrzehnten seine Stelle an der Universität Bremen aufgegeben, um sich seiner Passion zu widmen – der Sammlung für ein Deutsches Zeitungsmuseum.
Lange war Emil Stumpp, abgesehen von einem „überschaubaren Verehrerkreis“, ein „unverdient Vergessener“, sagt Welke. Seit in den 1980er Jahren zwei Bücher über Stumpp erschienen, gilt das nicht mehr – auch wenn sein Name in Bayern noch immer den wenigsten etwas sagt. Der größte Teil seines Nachlasses wird im Emil-StumppArchiv in Gelnhausen aufbewahrt; es finden sich aber auch viele seiner Zeichnungen im Deutschen Historischen Museum und in der Sammlung des Bundestages.
Stumpp war eine Doppelbegabung. Er lieferte zu seinen Zeichnungen auch Texte für die Zeitung – der General-Anzeiger schickte ihn damals um die Welt, auch zu den Olympischen Spielen 1932 in die USA. Die Überfahrt auf dem Schiff war für einen wie Stumpp ein Traum: Er hatte Zeit und Muße, die besten Sportler zu porträtieren. Ganze zehn Minuten dagegen gewährte ihm der damalige Präsident- schaftskandidat der Demokraten, Roosevelt, zu dem Stumpp sich hartnäckig vorkämpfte. Das meisterhafte Porträt ist in Augsburg zu sehen. Stumpp war immer selbst aktiv, machte sich nicht abhängig von Aufträgen. Auf eigene Faust fuhr er zum Maler Edward Munch und belagerte ihn so lange, bis ihm eine Porträtsitzung gewährt wurde. Stumpps Markenzeichen war auch sein Türöffner: Er ließ die von ihm gezeichneten Berühmtheiten stets das Blatt signieren – Beglaubigung und Zustimmung gleichermaßen. Dass der Künstler nie schmeichelte, sondern unbeirrt zeichnete, was er im Gegenüber sah, beeindruckte. Der ernste, oft melancholische Ausdruck der Porträtierten fällt auf.
Emil Stumpp hat seine Arbeit lebenslang als Tagebuchschreiber begleitet, weshalb die Ausstellung wunderbare kleine Erzählungen aufbieten kann. 1925 schrieb Stumpp zu seiner Sitzung mit Brecht: „Schon das erste bei weitem das Beste, was von ihm gemacht worden sei. Will 10 Drucke, wird Bücher dafür schicken.“Nicht immer hatte es der Zeichner leicht. „Am wenigsten haben mir die Schauspieler gefallen. Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit in der Verabredung, launische Anwandlungen, keine Rücksichtnahme auf Zeit und Nerven anderer…“Die einzigartige Qualität seiner Porträts hat darunter aber nie gelitten. Auch darin zeigt sich Emil Stumpps Größe. O bis 12. November. Eintritt frei