Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Von der Koranschule zum Quali
Bildung Neun Jungen aus Afghanistan, Syrien und Pakistan bestanden nach nur 18 Monaten Vorbereitung ihren Quali. Ausbildungsplätze sind da, nur die Behörden stellen sich quer
Sie waren Teil der großen Flucht nach Europa. Im Sommer und Herbst 2015 erreichten neun Jungen aus Afghanistan, Syrien und Pakistan Augsburg. Jetzt, nach nur eineinhalb Jahren Alphabetisierung, Deutsch und Mathe, erhielten sie zum Schuljahresende im Bärenkeller ihren „Qualifizierenden Abschluss der Mittelschule“(QA) ausgehändigt. Strapazen und Erleichterung, aber auch Energie und Hoffnung sind ihnen bei einem Gespräch in der Pferseer Awo-Wohngruppe für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge anzumerken. Sie sprechen gut Deutsch. Manche absolvierten in Syrien das neunjährige Pflichtschulprogramm, einer besuchte jedoch lediglich eine afghanische Koranschule. Vormund, Duldung, Genehmigung, Klage, Kfz-Mechatroniker – Wörter der deutschen Bürokratie, mit denen sie verwaltet und ausgewählt oder abgelehnt werden, fallen häufig und wie selbstverständlich.
Auf ihren Zeugnissen sind fünf Fächer vermerkt, „Deutsch als Zweitsprache“steht ganz oben. „Alle Schüler, die noch keine sechs Jahre in Deutschland sind, müssen diese Prüfung zusätzlich ablegen. Ansonsten sind die Zeugnisse unserer Jungs wie die aller anderen“, erklärt Daniela Ziegler, Fachbetreuerin der Wohngruppe.
Der Beste, Farhard Barakzaiye aus Afghanistan, bestand mit 1,8. Er sucht jetzt einen Ausbildungsplatz im Handwerk. Nur mit der „Berufsintegrationsklasse“, die „unsere Jungs“in verschiedenen Berufsschulen besuchten, hätten sie das allerdings nicht so schnell geschafft, da sind sich Valy Ghyasi (18), Usman (18) und Nek Muhammad (18) einig. Ihr Glück: In den letzten 18 Monaten konnten sie mit Ziegler, ihrem Kollegen Arthur Dabrowski, Ute Prake (Condrops) und Gerhard Gerke, einem pensionierten Lehrer, sechs Stunden pro Woche Deutsch, Arbeit-Wirtschaft-Technik (AWT) und vor allem Mathematik büffeln. Zusätzlich zum Unterricht in der Berufsschule. Sie waren die Ersten, die von diesem zusätzlichen und auf Eigeninitiative der Lehrer hin entstandenen Angebot profitieren konnten.
Der Erfolg: Drei von ihnen haben einen Ausbildungsvertrag bereits sicher. Auch Valy Ghyasi (18). Er stammt aus Afghanistan, wohnt bis heute in der Awo-Flüchtlings-WG und schloss mit 2,0 ab. Nebenher absolvierte er noch Praktika als Maler und Hotelfachmann. „Beides war aber nicht so meins“, erklärt er. Auch eine Ausbildung zum Krankenpfleger konnte er sich nicht vorstellen. Doch er erhielt von einer Kfz-Werkstatt einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechatroniker. Nek Muhammad stammt ebenfalls aus Afghanistan und machte sich – wie Valy – mit 15 Jahren auf den Weg nach Deutschland. Jetzt hat er den Quali mit 2,6 bestanden. Seit ein paar Tagen macht er ein Praktikum in einer Gärtnerei. Eine Ausbildung zum Ziergärtner – das wäre sein Traum. Usman, der aus dem Osten Pakistans floh, bestand mit 2,8 und hat wie Valy bereits eine Ausbildungsstelle als Maurer gefunden.
Während der Quali-Vorbereitung erhielten alle drei aber eine Ablehnung auf ihren Asylantrag. Die Klagen dagegen laufen, eine wurde bereits abgewiesen. Das neue Integrationsgesetz garantiert Flüchtlingen, die eine Ausbildungsstelle gefunden haben, seit August 2016 eine Duldung für drei Jahre und ein anschließendes zweijähriges Bleiberecht. Das bayerische Innenministerium wies die Ausländerbehörden jedoch im September 2016 an, diese Regelung restriktiv zu handhaben. „Die Unruhe ist groß. Viele der minderjährigen Jugendlichen in Augsburg haben in diesen Wochen die Integrationsklassen oder sogar einen Quali abgeschlossen und eine Ausbildung in Aussicht. Jetzt hängt alles an der Augsburger Ausländerbehörde“, berichtet Ziegler.