Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Weniger arbeiten bringt mehr
Mehr Freizeit, mehr Erholung, mehr Leistung. Kann die Rechnung aufgehen? Sie kann, doch die Theorie funktioniert besser als die Praxis
die Module zusammenkleben müssen. Eine kreative Leistung steckt nicht mehr dahinter.“Kommt jemand mit dem Druck nicht klar, wird er meist abgefertigt. „Wenn Sie das nicht hinbekommen, suchen wir uns andere, die es können“, zitiert Hien die gängige Antwort auf Beschwerden.
Immer mehr zusätzliche Aufgaben und Verantwortungen, Angst um die Stelle – die Arbeit macht immer mehr Menschen krank. Nach Angaben der DAK hat sich die Zahl der Patienten mit Burnout-Syndrom seit 2006 verter verteilen und Arbeitsplätze zu sichern. Arbeitszeitverkürzungen sind angebracht, wenn sie Arbeitsplätze sichern, Beschäftigung ausbauen, Gleichstellung von Frauen und Männern ermöglichen, ökologisch vertretbar umgesetzt werden und hinreichende Einkommen zulassen.“
Wer dagegen schon längst begriffen hat, dass es im Leben um mehr geht als um die eigene Karriere, ist die viel diskutierte Generation Y. Annemarie Engelsdorfer, akademische Beraterin im Hochschulteam des Arbeitsamtes München und seit Hien sieht in den Lebenshaltungskosten ein Problem, allerdings eher ein gesellschaftspolitisches: „Es geht darum, dass der Mensch ausreichend Geld für ein gutes Leben hat. Und nicht, dass er besonders viel verdienen muss.“Dieser „Geld-Fetisch“sei tödlich für eine humane Gesellschaft.
Physiotherapeutin Johanna Ernst gehört mit ihren 31 Jahren zu dieser Generation Y. Sie nimmt für den Luxus Freizeit auch finanzielle Einschnitte in Kauf. „Ich verdiene jetzt so viel, wie als Berufsanfänger in Hessen vor acht Jahren“, sagt sie. Natürlich müsse sie sich mehr einschränken. Aber lieber stecke sie woanders zurück als bei ihrer Freizeit. Der Freitag gehört jetzt ihr. Und den nutze sie hauptsächlich für ganz „banale Sachen“: In Ruhe einkaufen gehen. Den Haushalt machen. Über das Wochenende wegfahren. Zeit haben.
Verkürzte Arbeitszeiten als die Norm – Beraterin Engelsdorfer und oder „Kreativität oder soziale Interaktion ist schwer digitalisierbar.“Wer wird in dreißig Jahren die Steuerkassen füllen, wenn viele Berufe durch Maschinen ersetzt wurden? Die Menschen, die ihr Potenzial erkannt haben – je komplexer der Beruf, desto sicherer sei er, sagt auch US-Ökonom Tyler Cowen. Gute Zeiten für die Kreativen, die Problemlöser, die Menschen, die anderen helfen. Doch dazu müssen auch die Umstände stimmen. Aber Bedenken, die gegen eine Lockerung sprechen, sind die gleichen wie zu Bismarcks Zeiten.
Doch neue Ideen und frische Konzepte stellen sich nicht auf Knopfdruck ein. Und auch Johanna Ernst, die den ganzen Tag Menschen behandelt, kann das besser, wenn sie ausgeruht ist. „Ich stehe voll dahinter“, sagt sie über die Entscheidung weniger zu arbeiten. „Definitiv“, sie lehnt sich leicht zurück und lächelt zufrieden. Etwa sieben Mal im Jahr nutzt sie das lange Wochenende für ihre Weiterbildung zur Osteopathin. Was dazwischen bleibt: Luft. Zum Durchatmen.