Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der selbst ernannte Dirigent
Porträt Frankreichs Premierminister Édouard Philippe ist ein Mann der leiseren Töne. Aber jetzt tritt er langsam aus dem mächtigen Schatten von Präsident Macron
Zu den Dingen, die Édouard Philippe mit seinem Chef Emmanuel Macron gemein hat, gehört, dass ihn kaum einer kommen sah – so schnell schoss er nach oben. Ministererfahrung brachte er nicht mit, als er nach Macrons Wahlsieg im Mai Frankreichs Regierungschef wurde. Dennoch galt der 46-Jährige – bis dahin allgemein für seine Arbeit respektierter Bürgermeister von Le Havre – als eine der aufstrebenden Nachwuchshoffnungen der Republikaner.
Diese Parteizugehörigkeit war ein wichtiges Kriterium für seine Auswahl: Indem Macron, der aus dem Dunstkreis der Sozialisten kam, einen Konservativen an seine Seite holte, vollzog er die versprochene Öffnung und Überwindung ideologischer Grenzen. Kritik aus den eigenen Reihen an diesem „Verrat“konterte Philippe, er bleibe seinen Werten treu, die vereinbar mit jenen der Republikaner seien.
Auch nach dreieinhalb Monaten im Amt des Premierministers ist der diskret auftretende Philippe den Franzosen weitgehend fremd geblieben. Dass Macron Anfang Juli ausgerechnet einen Tag vor dessen Regierungserklärung selbst eine große Rede im Parlament hielt, stellte Philippe in den Schatten, wie um anzuzeigen, wer das Steuer lenkt – der Präsident.
Erst die Vorstellung der Arbeitsmarktreform vor einigen Tagen katapultierte ihn in die erste Reihe. Mit selbstbewusster Sachlichkeit erklärte Philippe, warum Frankreich diese Liberalisierung brauche und er stolz auf den Mut seiner Regierung sei, sie anzugehen. Auf die Kritik an seinem allzu zurückhaltenden Auftreten erwiderte er, worauf es in seiner Funktion ankomme: „Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit.“Zu viele Politiker verzichteten auf Reformen, weil sie nur auf ihre Beliebtheitswerte schielten. Vergleiche man die Regierung mit einem Orchester, sei er weder Solist noch Schlagzeuger, sondern Dirigent. Auch wenn er leisere Töne anschlägt, so hat Édouard Philippe weitere Gemeinsamkeiten mit Macron, darunter den Weg durchs französische Elitesystem. Nach dem Abitur in Bonn, wo sein Vater das deutsch-französische Gymnasium leitete, studierte er wie der Präsident an den renommierten Kaderschmieden Sciences Po und ENA (École Nationale d’Administration). Er begann seine Karriere beim obersten Verwaltungsgericht, kennt aber auch die Privatwirtschaft aus seiner Arbeit für die US-Anwaltskanzlei Debevois & Plimpton und den Atomenergiekonzern Areva. Danach widmete er sich ganz der Politik, unter anderem auch als Regionalrat und Abgeordneter.
Philippe hat drei Kinder mit seiner Frau Édith, Direktorin der Elitehochschule Sciences Po – auf deren Bänken sie sich einst kennenlernten. In seinen wenigen freien Stunden betreibt er Boxsport, früher schrieb er mit einem Kollegen Politthriller. Einer davon hat den Titel „Im Schatten“. Aus diesem tritt Philippe nun heraus; zumindest ab und zu. Birgit Holzer