Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Als in Steppach die „Schärrefre­sser“wohnten

Woisch no? Der Kabarettis­t Silvano Tuiach erinnert sich an seine Kinderzeit in Steppach. Er weiß viel zu erzählen über Spitznamen, Treffpunkt­e und das frühere Nachtleben

- VON SILVANO TUIACH

Neusäß Steppach Als die Familie Tuiach im Jahre 1956 wegen der Einschulun­g des Sprössling­s aus Vogelsang wegwollte, war es nicht so einfach, ein neues Zuhause zu finden. Die Wohnungsno­t war damals so groß wie heute. Zudem waren wir „Itacker“, wenn die Leute nett zu uns sein wollten, nannten sie uns „Spaghetti-Fresser“.

Doch wir hatten Glück, der damalige Bürgermeis­ter von Steppach, Herr Guttmann, war im Hauptberuf Polizist und kontrollie­rte jeden Abend den „Officers

Club“an der Leitershof­er Straße, in dem mein Vater Küchenchef war.

Und mein Vater steckte Herrn Guttmann zuweilen einen „Turkey“zu oder eine Tüte Donuts zu. So bürgte Herr Guttmann für uns und wir bekamen in Steppach eine ZweiZimmer-/Küche-Wohnung ohne Bad im „Koppoldblo­ck“, Alte Reichsstra­ße 1. Der Namensgebe­r des Blocks war die Bäckerei Koppold, der das Haus gehörte.

Die Steppacher hatten damals den Spitznamen „Schärrefre­sser“, da sie, wenn sie die Dampfnudel­n vom Ausbacken aus der Bäckerei im Kar nach Hause trugen, unterwegs schon die Schärre weg naschten (für Norddeutsc­he: Schärre = Kruste). In den 50er-Jahren gab es noch mehrere Bauernhöfe in Steppach. Der bekanntest­e war der „Stoffelbau­er“an der Alten Reichsstra­ße. Der „Stoffelbau­er“hatte noch einen Knecht (Max hieß er), der in QuasiLeibe­igenschaft auf dem Hof lebte. Und die Kühe wurden am Abend durchs Dorf getrieben, und jeden Abend war die Alte Reichsstra­ße mit Kuhfladen übersät.

Die Versorgung mit Lebensmitt­eln war damals exzellent. Es gab fünf (!) Lebensmitt­elläden, zwei Milchläden (allein die Geschichte­n vom „Heimer“könnten ein Buch füllen), zwei Bäckereien, neben „Koppold“noch „Hobmair“, aus dem später der „Krätzig“wurde. Seine Brezen waren weit über Steppach hinaus berühmt. Dann noch zwei Metzgereie­n, den „Zimmermann“und den „Kapfer“. Xaver Kapfer war der einzige Metzger, den ich jemals sah, der Koteletts auseinande­r hackte, ohne hinzusehen. Aber Xaver Kapfer hatte bis zu seiner Pensionier­ung noch alle Finger. Der Herr Zimmermann von der anderen Metzgerei hatte noch einen Stadel auf dem heutigen Krautgarte­nfeld – für uns Kinder ein idealer Spielplatz. Aber mit Herrn Zimmermann war nicht gut Kirschen essen.

Im Dorfmittel­punkt war (und ist) die Gaststätte Fuchs. Ich kannte noch den Großvater vom heutigen Besitzer, Seppi Fuchs. Und wenn wir Kinder im Biergarten Kastanien von den Bäumen warfen, wurde Herr Fuchs gelinde ausgedrück­t, zornig.

Damals schlachtet­e der Fuchs noch und ich sehe heute noch seinen Metzger Andi mit den aufgehängt­en Schweinehä­lften am Tor vor mir. Der „Fuchs“braute ja damals noch sein eigenes Bier, und vor dem Brauhaus stand ein Wagen, in den permanent die Maische vom Brauen floss. Diesen Geruch habe ich immer noch in der Nase. Im Dorf-„Zentrum“an der Ulmer Straße gab es damals schon das „Café Ertl“, und der alte Herr Ertl sah mit dem dünnen Oberlippen­bart wie Marlon Brando im „Paten“aus.

Sogar ein „Nachtleben“gab es in Steppach. Im ganzen Umland bekannt war das „Chez Loui“, geführt von der Offenwange­r Betty. Als wir Dorfbursch­en 16, 17 Jahre alt waren, trauten wir uns hinein, waren aber enttäuscht, da wir mehr „Anrüchiges“erwartet hatten.

Ach ja, auch eine Drogerie hatten wir: den „Gerono“. In Herrn Geronos Laden war es immer stockdunke­l, man sah den Besitzer nur, weil er immer einen weißen Mantel trug. Auch einen Dorfarzt gab es: Herrn Dr. „Kosniowski“. Seine Behandlung­en glichen „Speed-Dates“. Kaum war man bei ihm drin, war man schon wieder draußen.

Aber Mitte der 70er-Jahre begann Steppach, sich zu verändern. Die Einwohnerz­ahl (heute circa 4000) stieg kontinuier­lich. Erst wurde das Krautgarte­nfeld bebaut und im Zuge des Zentralkli­nikums auch die Anhöhe hinter dem Sportplatz. Diese Anhöhe (Schneegrun­d, Brunnenfel­d) taufte der Volksmund „Scheidungs­hügel“, da dieses neue Wohngebiet wegen der schnellen Fluktuatio­n eine Goldgrube für den Immobilien­markt war.

Heute ist Steppach ein „mondäner“Vorort geworden, der viele wohlhabend­e Menschen aus Augsburg angelockt hat. Und vor meinem geistigen Auge sehe ich noch das Omnibushäu­schen am „Roten Platz“, in dem ich mit meinen Steppacher

Freunden einen großen Teil meiner Jugend verbracht habe.

Im ganzen Umland bekannt war das „Chez Loui“in Steppach

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Fotos: Marcus Merk (2), Repros: Peter Jäger (4) In der Zufahrtsst­raße zum Steppacher Dreieck war früher wenig Verkehr und es gab genügend freie Parkplätze (linkes Bild). Rechts zu sehen ist die gleiche Stelle in der heutigen Zeit zum Vergleich: Der Brauereiga­sthof Fuchs steht noch, das Haus rechts...
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 ??  ?? Die Gaststätte Fuchs war und ist der Mittelpunk­t des Ortes: Das selbstgebr­aute Fuchsbier wurde früher direkt im Biergarten gezapft.
Die Gaststätte Fuchs war und ist der Mittelpunk­t des Ortes: Das selbstgebr­aute Fuchsbier wurde früher direkt im Biergarten gezapft.
 ??  ?? In den 50er Jahren gab es noch einige Bauernhöfe in Steppach: Das Bild zeigt den schönen Stoffelbau­er Hof.
In den 50er Jahren gab es noch einige Bauernhöfe in Steppach: Das Bild zeigt den schönen Stoffelbau­er Hof.
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Silvano Tuiach erzählt vom Le ben in Steppach in seiner Kindheit und Jugend.
 ??  ?? Landwirtsc­haft anno dazumal: Beim Veh Bauer in der Alten Reichsstra­ße werden frisch geerntete Kartoffel sortiert.
Landwirtsc­haft anno dazumal: Beim Veh Bauer in der Alten Reichsstra­ße werden frisch geerntete Kartoffel sortiert.

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