Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der einstige Klima Musterschüler fällt zurück
Regierungsbilanz Deutschland ist weit davon entfernt, seine CO2-Versprechen zu erfüllen. Die teuere Energiewende stockt
An Tagen, an denen die Sonne von einem wolkenlosen Himmel scheint und gleichzeitig überall kräftig der Wind weht, ist das ehrgeizige Ziel der Energiewende in Deutschland fast erreicht. Dann läuft die Produktion von CO2-freiem Ökostrom auf Hochtouren und deckt, wie diese Woche am vergangenen Mittwoch, zwei Drittel des Stromverbrauchs in Deutschland, während gleichzeitig die Kohlekraftwerke heruntergefahren werden. Und dennoch hat Deutschland in dieser Legislaturperiode seinen Ruf als Vorreiter und Musterschüler beim Klimaschutz verloren: Der CO2-Ausstoß ist insgesamt nicht weiter gesunken, sondern sogar wieder gestiegen.
Rückblick: Am Abend des 12. Dezember 2015 konnte sogar die sonst so nüchterne und emotionslos wirkende SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks die Tränen der Rührung nicht mehr zurückhalten. Eben hatten sich die Delegierten der 195 Mitgliedstaaten der Klimarahmenkonvention der UN in Paris nach tagelangem zähen Ringen auf ein neues Klimaschutzprogramm geeinigt, das das Kyoto-Protokoll von 1997 ablösen soll, da brach es aus ihr heraus: „Wir haben heute alle zusammen Geschichte geschrieben.“Milliarden Menschen hätten lange darauf gewartet, dass die Weltgemeinschaft handelt und den Anstieg der Erderwärmung „möglichst“auf 1,5 Grad begrenzt. Im Namen der Bundesregierung versprach sie, dass Deutschland seinen CO2-Ausstoß deutlich reduzieren und einen kompletten Ausstieg aus dem Kohlenstoff anstreben werde.
Doch zwei Jahre später sieht die Bilanz durchwachsen aus. Trotz der Energiewende, die nach dem Atomunglück von Fukushima 2011 von der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung beschlossen wurde, ist Deutschland weit davon entfernt, seine Versprechen zu erfüllen. Bis 2020 sollte der CO2-Ausstoß um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken, bis 2030 sogar um mindestens 55 Prozent. Doch bislang wurden erst 28 Prozent erreicht. Seit einigen Jahren steigt der CO2-Ausstoß sogar wieder. Und das obwohl mittlerweile im Jahresdurchschnitt 29 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Obwohl die Stromkunden über die ÖkostromUmlage mit jährlich 25 Milliarden Euro die Energiewende fördern.
Zu den Paradoxien der Energiepolitik gehört es, dass ausgerechnet die Braunkohlekraftwerke, die am meisten klimaschädliche Treibhausgase ausstoßen, zu den Gewinnern des Umstellungsprozesses gehören. Sie produzieren mehr Strom als noch zu Beginn des Jahrtausends, während moderne, effiziente und saubere Gaskraftwerke im Energiemix mit gerade einmal zehn Prozent nur eine untergeordnete Rolle spielen. Auch kam der Klimaschutz beim Autoverkehr und in der Landwirtschaft nicht voran. Zwar wurden für Autos strengere Abgaswerte eingeführt. Doch die Effizienzgewinne bei den Motoren gingen dadurch verloren, dass mehr Kilometer mit immer PS-stärkeren Fahrzeugen gefahren werden und der Schwerlastverkehr auf den deutschen Straßen erheblich zugenommen hat. Ein Problem der Energiewende ist zudem der unverändert schleppende Netzausbau.
Gleich zwei Mal reformierte die Große Koalition das ErneuerbareEnergien-Gesetz: Die entscheidende Neuerung: Neuanlagen werden ausgeschrieben, den Zuschlag erhält, wer mit der niedrigsten Förderung pro Kilowattstunde auskommt, was eine deutliche Senkung der Förderkosten zur Folge haben wird. So erhielten bei der ersten Ausschreibung für zwei Off-ShoreWindparks Betreiber den Zuschlag, die zusicherten, komplett ohne Förderung auszukommen.