Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wo sollen diese Menschen im Alter wohnen?
Soziales Sie wollten in ihrer Wohnung in Lechhausen alt werden. Nun soll die Miete massiv steigen. Irgendwann werden sie das nicht mehr bezahlen können. Alla Ailer und Leonid Haichin spüren die „Kälte“eines Immobilienkonzerns
Sie leben jetzt schon seit 20 Jahren hier. Eine Wohnung in einem Mietshaus in Lechhausen. 72 Quadratmeter. Drei Zimmer, Küche, Bad. Die Ausstattung ist einfach und längst nicht mehr auf dem neuesten Stand, aber Alla Ailer und Leonid Haichin, beide 58 Jahre alt, sind damit zufrieden. Bis vor Kurzem waren sich die beiden noch sicher: Hier werden wir alt. Doch nun ist gar nichts mehr sicher. Weil das Haus saniert wird, soll die Miete schon bald um fast 50 Prozent ansteigen.
Alla Ailer und Leonid Haichin arbeiten in Vollzeit. Er als Lagerarbeiter, sie als Buchhalterin. Bisher zahlen sie monatlich rund 450 Euro Miete, dazu kommen etwa 210 Euro an Nebenkosten. Im nächsten Jahr, nach dem Abschluss der Sanierung, soll die Kaltmiete voraussichtlich um 220 Euro steigen, hat man ihnen per Brief mitgeteilt. Sie fürchten, dass die Wohnung sie dann – alles in allem – jeden Monat an die 900 Euro kosten wird. Solange sie arbeiten, sei das vielleicht „gerade noch machbar“, sagt Alla Ailer. Doch an die Zeit, wenn sie in den Ruhestand gehen werden, wollen sie gar nicht denken. Zusammen werden sie rund 1000 Euro Rente monatlich bekommen. Sie befürchten, dass sie spätestens dann ausziehen müssen. Ohne Rücklagen angespart zu haben.
So wie dem Paar geht es vielen Mietern, die in der Anlage in der Euler-Chelpin-Straße leben. Sie gehört der Vonovia AG, nach eigenen Angaben das größte Wohnungsunternehmen Deutschland. Was in der Augsburger Wohnanlage passiert, das beobachten Mietervereine derzeit auch an vielen Orten. Sie vermuten: Der Konzern saniert die Häuser auch, um die Mieten kräftig anheben zu können. Das Gesetz lässt es zu, dass ein Hausbesitzer bis zu elf Prozent der Baukosten auf die Jahresmiete draufschlagen darf. Das heißt, es wird für Mieter umso teuerer, je umfangreicher modernisiert wird. Vonovia macht aus dieser Strategie auch gar keinen Hehl. Im Geschäftsbericht wird erwähnt, dass es dank der Modernisierung von Häusern gelungen sei, die Mieten um einiges stärker steigen zu lassen als im Marktdurchschnitt.
In Augsburg wollen sich die Mieter das so nicht gefallen lassen. Sie haben ein Protestschreiben verfasst. Vor Kurzem gab es nun auch eine Mieterversammlung, bei der Vertreter des Konzerns die Pläne für die Sanierung vorstellten. Die Mieter, die bei der Sitzung dabei waren, sind enttäuscht. Bei der geplanten Mieterhöhung bleibt der Konzern hart: Was gesetzlich erlaubt ist, wird ausgeschöpft. „Ich war entsetzt über die menschliche Kälte“, sagt Alla Ailer. „Man hat uns klar gesagt: Wem etwas nicht passt und wem die Mieten zu hoch sind, soll eben ausziehen. Man bekomme die Wohnungen ohne Probleme alle neu vermietet.“Doch wo sollen sie hin?
Alla Ailer und Leonid Haichin haben sich schon mal nach einer Wohnung umgeschaut. Doch der Markt sei leer gefegt, sagen sie. Und Bewerber mit höherem Einkommen hätten die besseren Karten. Die Wohnanlage in Lechhausen unter anderem eine Wärmedämmung und neue Fenster bekommen. Geplant ist aber auch anderes: etwa moderne Klingelanlagen und Aufzüge. Der Einbau von Aufzügen ist vorgesehen, weil Vonovia die vierstöckigen Gebäude um ein Geschoss aufstocken und so neue Wohnungen bauen will. Die Betriebskosten für den Aufzug werden aber alle Mieter tragen müssen. Selbst jene, die im Erdgeschoss wohnen. Die Mieter fragen sich auch, wie man künftig im Viertel noch einen Parkplatz bekommen soll, wenn neue Wohnungen dazukommen. Schon jetzt, erzählt ein Bewohner, sei regelmäßig alles zugeparkt. Noch hat die Stadt die Aufstockung der Häuser nicht genehmigt. Beim Vonovia-Konzern scheint man aber überzeugt zu sein, dass die Genehmigung erfolgt. „So hat man es auf der Versammlung dargestellt“, sagt einer der Teilnehmer. Die Mieter hoffen nun, dass die Stadträte sich den Fall noch mal genau anschauen und das Projekt nicht einfach durchwinken.
Dass man an der Wohnanlage etwas tun muss, sehen auch Alla Ailer und Leonid Haichin so. Doch sie fragen sich, ob wirklich alle Arbeiten nötig sind – und ob man sie nicht auch über einen viel längeren Zeitraum verteilen könnte. „Mit 100 Euro mehr im Monat könnten wir ja leben“, sagt Leonid Haichin. „Aber was Vonovia vor hat, ist zu viel.“Zumal sich für sie – außer der Fenster – in der Wohnung wohl nichts verbessern wird, sagen sie. Das Bad sei Jahrzehnte alt. Als sie das einmal angesprochen haben, teilte man ihnen mit: Man könne das Bad schon herrichten, aber dafür würden dann weitere 40 Euro pro Monat auf die Miete draufgeschlagen.
Vonovia kündigte nun zwar an, Mietern mit niedrigem Einkommen eventuell doch entgegenzukommen. Details nannte der Konzern aber nicht. Die Mieter müssten wohl, so wurde es auf der Versammlung angedeutet, im Detail ihre finanziellen Verhältnisse offenlegen. Thomas Weiand vom Mieterverein Augsburg empfiehlt den Bewohnern, die sich Mieten nicht leisten können, bei der Stadt Wohngeld zu beantragen. Das müssten auch Alla Ailer und ihr Mann tun, wenn sie in Rente gehen. Allerdings ist das Wohngeld „gedeckelt“. Das heißt, die Miete wird nur bis zu einer bestimmten Höhe berücksichtigt. Alles, was darüber liegt, muss man dann selbst aufbringen. Selbst mit Wohngeld blieben dem Paar im Alter – grob überschlagen – nach derzeitigem Stand wohl nur rund 500 Euro im Monat zum Leben. »Kommentar
Die Mieter hoffen nun auf die Stadträte