Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kein Erbarmen mit Köln
Wer in den 70er Jahren mit Fußball aufgewachsen ist, wird sich des Kölners Wolfgang Overath auf ewig erinnern. Wie Overath den Ball durch die Tiefen der Räume gestreichelt hat. Wie er eine Pirouette um die andere gedreht hat, erhobenen Hauptes und immer ein Auge in Richtung Kölner Dom. Wunderbare Zeiten für die Fans. Andererseits trieb einen schon damals die Frage um, wie jemand abseits von Karneval und Kölsch sein Herz an den 1. FC Köln verlieren konnte. An einen Verein, der statt eines Adlers, eines Löwen oder eines Smartphones einen Ziegenbock im Wappen trägt und dessen Spieler folglich als Geißböcke kicken.
Vermutlich war es wie immer, wenn der Mensch in unerklärbarer Leidenschaft entflammt und der Verstand gen Süden rutscht: Es hat einfach zoom gemacht. Die Hormone rauschten – und der Mensch mit seinem bisschen Grips war an den Klub verloren. Anders als im richtigen Leben halten Fußball-Beziehungen bis dass der Tod sie scheidet, mögen Unparteiische mit vernichtenden Elfmeterpfiffen noch so an ihnen sägen. Das geht gar nicht anders. Keiner, der sich einmal als Anhänger des 1. FC Köln zu erkennen gegeben hat, könnte sich in schlechten Zeiten mit der Erklärung, er sei jetzt Fan von Bayern München auf die Straße wagen – so sehr einem auch nach Partnerwechsel war. Im Augenblick ist es wieder so weit. Nirgendwo steht die Beziehung nach dem fünften BundesligaSpieltag dermaßen im Feuer wie in Köln. Vom Rauschhaften der vergangenen Saison, das die Geißböcke in die Europa League getragen hat, ist nichts mehr geblieben. Fünf Pleiten, null Punkte, 1:13 Tore, Tabellenletzter – und der Video-Schiedsrichter kennt kein Erbarmen. Auch beim 0:1 gegen Frankfurt urteilte der Assistent gleich zweimal zum Nachteil der Kölner, wo jedes Geißbock-Herz eindeutig anders entschieden hätte. Es hat den Kölnern bislang auch nicht geholfen, dass ihre schöne Stadt jenes Studio beherbergt, aus dem die vernichtenden Urteile kommen.
Dabei waren die Kölner bescheiden zur viel versprechenden Saison angetreten. Anders als früher, als jedes Mini-Hoch Größenwahn auslöste. Es hat sie nicht vor dem Absturz bewahrt. Vielleicht, weil die Mannschaft zuletzt über ihre Verhältnisse gespielt hat, und ohne Anthony Modeste weit darunter kickt. Ihrem Klub werden die Fans auch noch die Treue halten, wenn er am Sonntag in Hannover zum sechsten Mal verliert. Sie können nicht anders. Peter Stöger, den bislang hochverehrten, wird dagegen bald der Laufpass ereilen.