Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Klinikums Mitarbeiter fordern mehr Personal
Soziales Mehrere hundert Beschäftigte aus dem Pflegebereich legten am Montag die Arbeit nieder. Neun Operationssäle blieben deshalb leer. Ungewöhnlich an der Aktion war, dass selbst der Arbeitgeber Verständnis dafür zeigte
Warnstreik am Klinikum: Mehrere Hundert Beschäftigte aus der Pflege und den Servicebetrieben haben am Montag die Arbeit niedergelegt. Darunter war auch Schwester Renate. Die 61-Jährige will ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen, genauso wenig wie ihre 30-jährige Kollegin, eine Krankenschwester aus der Kardiologie. Aber über ihre Situation sprechen, das wollen sie doch.
Beide berichten aus ihrem Arbeitsalltag, der sie sehr belastet. Schwester Renate muss teilweise zu zweit die Pflege auf einer Station mit 44 Patienten bewerkstelligen. „Die Personaldecke ist so dünn, dass niemand mehr einspringt, wenn mal ein Kollege krank ist. Es ist einfach sonst niemand mehr da“, klagt sie. Ihre jüngere Kollegin kennt diesen Zustand: „Ich mache auch schon mal alleine Nachtdienst auf einer Station.“Ihr ganzes Arbeitsleben lang, bis zur Rente also, könne sie unter diesen Umständen nicht in Vollzeit arbeiten. Es sei einfach zu anstrengend. „Manche Kollegen arbeiten zehn Tage durch, haben dann zwei Tagen frei, um dann wieder zehn Tage durchzuarbeiten.“
Die Schilderungen der beiden Krankenschwestern sind kein Einzelfall. Die Gewerkschaft Verdi möchte deshalb über einen Tarifvertrag Mindeststandards bei der Besetzung von Stationen mit Pflegekräften durchsetzen. Außerdem fordert sie einen Belastungsausgleich und eine Verbesserung der Ausbildungsbedingungen.
Die Streikenden machten am Montag lautstark auf ihre Situation aufmerksam. „Mehr Personal“riefen die Mitarbeiter des Klinikums auf dem Rathausplatz. Stefan Jagel von Verdi Augsburg betont, dass die Situation in den Krankenhäusern nahe am Kollabieren sei. „Überall kracht es im System. Unsere Geduld ist am Ende“, sagte er. Nach den Koalitionsverhandlungen bräuchte es eine Gesamtlösung für die Pflegekräfte in den Krankenhäusern. So lange, wie es Aussicht auf Besserung gebe, zeigten sich die Gewerkschaft und die Pflegekräfte streikbereit, kündigte Jagel an.
Neun Operationssäle mussten am Montag streikbedingt im Augsburger Klinikum geschlossen werden, sagt Klinikums-Sprecherin Ines Lehmann. „Dadurch mussten auch elektive, also geplante Operationen verschoben werden. Unsere Mitarbeiter und alle Pflegekräfte sind sehr verantwortungsbewusst mit dem Streik umgegangen, sodass die Patienten zu jeder Zeit sicher versorgt sind“, betonte Lehmann.
Am Streik beteiligten sich keine Ärzte. Notfallmedizinerin Dr. Renate Demharter ließ aber ein Grußwort vorlesen. Darin sprach sie den streikenden Pflegekräften Mut zu. Polizei und Gewerkschaft sprachen von 400 Mitarbeitern, die die Arbeit niedergelegt hatten. Das Klinikum gab 300 Beschäftigte an, die sich im Streik befunden haben sollen.
Klinikumsleitung und Gewerkschaft hatten wie berichtet eine Notdienstvereinbarung ausgehandelt. Das Klinikum zeigte Verständnis für die Forderungen der Gewerkschaft. Ines Lehmann: „Richtig ist, dass wir den gewünschten Pflegeschlüssel noch nicht auf allen Stationen erreicht haben. Uns ist auch bewusst, dass Arbeitsverdichtung und Verantwortung für die Pflegemitarbeiter besonders hoch sind. Deshalb sind die Forderungen der Gewerkschaft inhaltlich absolut nachvollziehbar.“
Die Rahmenbedingungen für die Pflege müssten verbessert werden. Dies bedürfe einer bundeseinheitlichen Neuregelung, welche der Gesetzgeber festlegt. Das Augsburger Klinikum versuche seinen Beitrag zu leisten. „In den vergangenen Jahren wurde das Pflegepersonal bedarfsorientiert aufgestockt. Durch Prozessoptimierungen und strukturelle Anpassungen haben wir auch Abläufe einfacher und effizienter gemacht“, betonte Lehmann.
Auf dem Arbeitsmarkt gibt es durchaus Pflegekräfte, die anpacken wollen. Auch der junger Mann, der am Montag auf dem Rathausplatz steht. Anwar würde gerne in der Pflege arbeiten und darf womöglich bald nicht mehr. Der 21-jährige Afghane kam vor dreieinhalb Jahren nach Deutschland. In kurzer Zeit lernte er Deutsch, absolvierte am Klinikum eine Ausbildung zum Pflegefachhelfer. Anfang Oktober könnte er dort eine Ausbildung zum Krankenpfleger beginnen. „Aber vielleicht muss ich zurück nach Afghanistan. Das Verwaltungsgericht entscheidet. In zwei Wochen bekomme ich Bescheid“, sagte er auf der Kundgebung. »Kommentar