Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Als Zinsen noch Sünde waren
Luther geißelte Geiz und Wucher
Ob aus Neid oder Gründen der Sozialkritik – zu Lebzeiten waren die Bankiers der Fugger nicht gut gelitten. Eine breite „Antimonopolbewegung“mit Anhängern aus Ritterschaft und Hochadel kritisierte im Reichstag die Verflechtungen der Handelsdynastien mit der politischen Macht. Die Kartelle, Wucherzinsen und die Preispolitik der Handelsfirmen wurden für die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten zu Beginn des 16. Jahrhunderts verantwortlich gemacht. Auch der Reformator Martin Luther (1483 – 1546), so erklärt der Ökonom und Theologe Hans Jürgen Prien, war Teil der Bewegung. Prien nennt die Wirtschaftsethik Luthers „nahezu antikapitalistisch“. Auch wenn Luther, wie er in seinem Vortrag auf Einladung der Volkshochschule, des Forums Annahof, Attac und des Forums Fließendes Geld erläuterte, kein eigenes Werk dazu verfasst habe, sei seine Sozialkritik ein Teil seiner Theologie.
Luther und seine Zeitgenossen kannten Zinsen von 30 bis 40 Prozent ohne Exitmöglichkeit für den Kreditnehmer. Das siebte Gebot „Du sollst nicht stehlen“und die im Mittelalter verbreitete Lehre, dass auf Wucherer die Verdammnis in der Hölle warte, rückten angesichts der Entdeckung Amerikas und des beginnenden Welthandels in den Hintergrund. Schließlich gab es das Fegefeuer, das selbst die Seelen gestandener Kredithaie reinigte.
Luther verwarf ab 1530 die Lehre, dass es einen Läuterungsort nach dem Tod gebe. Die Pflicht, alle Menschen und sogar den Gegner zu lieben, verbot, so erläutert Prien, profitorientierte Geschäfte mit der Not anderer. Doch der Reformator erkannte an: Vier bis sechs Prozent Zinsen für einen Kredit seien in Ordnung. Schon in seiner Jugend konnte Luther die ökonomischen Verschiebungen in Erfurt und Magdeburg beobachten. „Die großen Handelsgesellschaften investierten ihr Kapital und verdrängten das lokale Gewerbe“, erklärt der Theologe. Priens Fazit: „Luthers Haltung lässt sich als antikapitalistisch bezeichnen, auch wenn es zu seiner Zeit noch nicht um Industriekapital und Produktionseigentum ging, sondern ‚nur‘ um Handelskapital“.