Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Friedhof im Wandel der Zeit
Letzte Ruhe Von Familiengrüften in Hanglage geht auf dem Protestantischen Friedhof nach 450 Jahren der Trend zu stimmungsvoll gestalteten Urnengemeinschaftsgräbern und Baumbestattungen
Hier liegen sie, die Intellektuellen neben den Industriellen und die kreativen neben den politischen Führungspersönlichkeiten vergangener Zeiten. Der Protestantische Friedhof zwischen dem Hochfeld und der Haunstetter Straße ist Ort der Trauer, aber auch FreiluftStadtmuseum der letzten 450 Jahre. Schon um 1500 kaufte der Augsburger Stadtrat die Äcker vor den Mauern des Roten Tores. 1543 wurde der Friedhof angelegt, erste Begräbnisse können für das Pestjahr 1563 nachgewiesen werden. 1648 ging das Gelände an die fünf innerstädtischen evangelischen Gemeinden über.
„Die bevorzugte Lage war von Beginn an der Westhang Richtung Hochfeld. Hier finden Sie die prominenten Personen der Jahrhunderte und solche, die sich dafür hielten“, erklärt Werner Bischler lächelnd, während er am Aktionstag des Friedhofs etwa 40 Besucher durch das sechs Hektar große Gelände führt. Ganz oben, an der Westmauer liegt folgerichtig Elias Holl, Grabnummer 1-5-267. Die Welsers haben hier ihre letzte Ruhestätte, die Familie der Schaezlers, die Eltern Bertolt Brechts und der berühmte Bildhauer Fritz Koelle (1895-1953). Weiter unten, an der Ruhestätte Albrecht Volkhardts (1804-1863) prangt eine klassizistische Büste des Buchdruckers, Verlegers und frühen Demokraten samt Locken und Kinnbart.
Etwas weiter den Hang hinauf setzte sich im 17. Jahrhundert die Pfarrerdynastie der Degmairs ein monumentales Denkmal. Weithin sichtbar thront die rote, etwa drei Meter hohe Ziegelsteinmauer mit ihren Burgzinnen über den Nachbargräbern. Die Gruft wird bis heute genutzt, zuletzt 2015. Inzwischen stehen die Namen der Verstorbenen nicht mehr auf der Frontseite, sondern werden auf neuen Marmortafeln an den Seiten der roten Mauer eingraviert.
„Ich mag Friedhöfe“, erzählt Ulrich Förster, der Bischler unter den uralten Buchen hindurch über die gekiesten Wege folgt. „Und dieser hier hat eine unheimlich berührende, gleichzeitig erholsame Atmosphäre. Er atmet Geschichte.“Ob er selbst hier auch mal liegen möchte? Darüber hat der ehemalige Tierarzt noch nicht nachgedacht und will es auch lieber nicht.
Stine Lobermann hat schon vor 20 Jahren ein anderes ungewöhnliches Angebot des Friedhofs genutzt: Für die Beerdigung der Schwiegermutter kam sie damals mit ihrem Mann hierher. „Das war eine tolle Fügung. Wir wurden über den Friedhof geführt und haben uns eines der freien historischen Gräber ausgesucht. Ein Steinmetz hat dann vor Ort die Daten meiner Schwiegermutter in den denkmalgeschützten Stein, der auf dem Grab stand, eingemeißelt“, erinnert sie sich. „Meine Mutter hat jetzt ein besonderes Grab mit einer besonderen Geschichte“, fügt ihr Mann hinzu. Und ein neuer Stein, so schätzt er, hätte zudem sicher 5000 D-Mark zusätzliche Kosten verursacht.
Von den etwa 250 Bestattungen im Jahr ist inzwischen nur noch die Hälfte im klassischen Sarg. Von den Beerdigungen mit Urne sind inzwischen pro Jahr auch etwa 15 Baumbestattungen. 20 Zentimeter hohe Stelen unter einem Nadelbaum im Süden des Geländes markieren die
Die ersten Begräbnisse gab es im Pestjahr 1563
Standorte. Plaketten auf den Stelen informieren über die Verstorbenen, auch individueller Schmuck durch die Angehörigen ist möglich. „Anonyme Gräber haben wir nicht, weil jeder im Leben wie im Tod das Recht auf einen Namen hat“, so Friedhofsleiter Erwin Stier. 1000 Euro kostet so eine Baumgrabstelle für zehn Jahre Mindestruhezeit. Wenn die Angehörigen diese nicht verlängern, wird danach die Urne anonym in ein Gemeinschaftsgrab überführt. Eine neue Idee, die Stier seit 2014 mit viel Herzblut verfolgt, ist die Weiterverwendung historischer Ruhestätten. „Niemand will mehr eine Gruft. Wir mussten uns etwas einfallen lassen“, erklärt er. Das jüngste Projekt realisierte er mit der Ruhestätte der Bankiersfamilie der Freiherren von Süßkind direkt an der Westmauer. Sie ging vor Kurzem an den Friedhof zurück. Stier ließ den großen, denkmalgeschützten Engel restaurieren, die Gruft mit den Überresten der Süßkinds abdecken. Überirdisch sind jetzt 80 kleine weiße Marmorplatten zu sehen. Auf drei der Platten sind bereits Namen eingraviert. Die Verstorbenen ruhen jetzt unter dem imposanten Engel der Süßkinds, in direkter Nachbarschaft von Elias Holl.