Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Langfristig das Leben einfach einstellen
Menschen finden und entdecken gerne etwas. Ob einen Zwanzig-Euro-Schein auf dem Bürgersteig, einen Steinpilz im Wald oder einen Druckfehler – es macht Freude. Während das Aufspüren von Geldscheinen und Steinpilzen aber meistens diskret behandelt wird, gibt es für Druckfehlerfunde fast immer nur einen Weg: raus damit ans „sehr versehrte“Publikum. Die Kolumnen, in denen solche Verfehlungen gesammelt veröffentlicht werden, gehören seit Jahrzehnten zu den beliebten Ecken diverser Presseerzeugnisse.
Ist ja auch oft zu drollig. Oder peinlich. Denn der Druckfehler ist ein teuflisches Gebilde: Es gibt den schludrigen, chaotischen Zufallsfehler, hinter dem niemand Absicht oder Unvermögen vermuten würde. Und es gibt eben auch den Verschreiber aus Versagen oder Unsicherheit vor der Orthografie. Ein Beispiel für letztere Kategorie ist eine Kleinanzeige, in der jemand eine „Weihnachts- grippe, Handarbeit“angeboten hat. Tja. Ein Königreich für ein K. Aber andererseits: Die nächste Weihnachtsgrippewelle kommt bestimmt.
Nun aber zu einem Juwel, einer Art Riesensteinpilz aus den Weiten der deutschen Zeitungslandschaft. Wir haben den Artikel aufgehoben, er stammt aus bestem Hause, dem mit den klugen Köpfen dahinter. Es geht um einen Berliner Verlag und seine erfolgreiche Strategie, sich mit schönen Büchern am Markt zu behaupten. Dann diese Passage: „Rötzer bleibt bescheiden und sagt, er sorge sich, dass langfristig die Leute das Leben einfach ganz einstellten. Das müsse man als Möglichkeit in Betracht ziehen.“Das Leben einfach ganz einstellten! Wie wunderbar ist das – ein Druckfehler (ja, natürlich hätte dort Lesen stehen sollen), der einen mit seiner absurden, melancholischen Wendung noch lange beschäftigt. Ein Buchstabe, existenzielle Wirkung.