Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Die Stellung der Fugger in der Stadt war spektakulär“
Interview Wie war und ist die Verbindung zwischen Augsburg und der berühmten Kaufmannsfamilie? Der Forscher Dietmar Schiersner spricht über Aufstieg, Spannungen und die aktuelle Rolle
Vor 650 Jahren zog der erste Fugger nach Augsburg. Für die Stadt war dies ja zunächst nicht spektakulär. Ab wann werden die Fugger denn für die Entwicklung Augsburgs von Bedeutung?
Dietmar Schiersner: Der Zuzug von Menschen wie Hans Fugger lag für die aufstrebende Stadt in deren damals planmäßig betriebenem Interesse, ökonomisch leistungsfähige Neubürger zu gewinnen. In diesem Zusammenhang war auch der erste Fugger für die Stadt von Bedeutung. Schiersner: Ab welchem Zeitpunkt man das Volumen von Handel und Finanzgeschäften der Fugger als – heute würde man wohl sagen – „systemrelevant“für das städtische Wirtschaftsleben einstuft, ist schwer zu beantworten. Jedenfalls nur 80 Jahre nach Hans Fuggers Ankunft rangierten dessen Söhne schon an fünfter Stelle aller städtischen Vermögen und betrieben engagiert europäischen Fernhandel. Der Konkurs des Lukas Fugger vom Reh um 1500 brachte seine Augsburger Gläubiger deswegen auch spürbar in Schwierigkeiten. Parallel zu ihrem ökonomischen Aufstieg verbanden sich die Fugger mit den sozial und politisch führenden Schichten der Reichsstadt. Spätestens zur Zeit Ja- kob Fuggers „des Reichen“war ihre Stellung in der Stadt „spektakulär“.
Dann war die Ansiedlung der Fugger in Augsburg also ein Glücksfall? Schiersner: Rückblickend muss einen der stetige ökonomische Aufstieg der Familie beeindrucken. Dafür, aber auch für die politische, insbesondere auch konfessionell-katholische sowie die soziale und kulturelle Führungsrolle, die sie seit dem 16. Jahrhundert übernahm, war die Sesshaftwerdung natürlich die Voraussetzung. Und dass Augsburg zum führenden deutschen Finanzplatz wurde, dass die Stadt für den Kaiser so bedeutsam war und Veranstaltungsort wichtiger Reichstage, auch dass die Stadt zum Einfallstor der Renaissance in Deutschland wurde – dafür sind die Fugger zwar nicht der einzige Faktor, aber ein eminent wichtiger.
Wie hat sich die Symbiose zwischen Fuggern und Stadt entwickelt und welche Umstände begünstigten dies? Schiersner: Symbiose bedeutet ja nicht, dass es keine Konflikte gegeben hätte – im Gegenteil! Das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv oder, anders gesagt, zwischen herausgehobenen Einzelnen einerseits und einer auf Gleichheit setzenden Gruppe andererseits – also der Führungsschicht einer Stadt oder der Bürgergemeinde insgesamt –, ist eigentlich immer von Spannungen begleitet.
Mit denen man umgehen muss ... Schiersner: Ja. Entscheidend für das Verhältnis Augsburg-Fugger im 16. und 17. Jahrhundert ist, dass diese Spannungen kontrolliert werden konnten, sodass weder die Stadt die Fugger vor die Tür setzte, noch die Fugger im Stil italienischer und auch älterer Augsburger Vorbilder nach der politischen Alleinherrschaft in der Stadt gestrebt haben. Das ist eine Leistung, für die man beide Seiten würdigen muss.
Gibt es andere Städte, in denen eine Familie so prägend war? Schierstner: In allen Gemeinwesen, nicht nur in dieser Zeit, gibt es führende Familien, die das Geschehen in ihrer Stadt in besonderer Weise prägen. Bei den Fuggern liegt aber ein vielleicht singulärer Zug darin, dass sie nicht im selben Maß und nicht nur in die traditionelle Führungsschicht der Stadt eingebunden waren, sondern zugleich „Stände des Reichs“waren. Ja, und dass sie bis heute in der Stadt präsent und ihr verbunden sind, auch das macht diese Prägung so intensiv.
Es gab aber auch weitere Kaufmannsfamilien in Augsburg. Schiersner: Man sollte nicht vergessen: Augsburgs Rolle im 16. Jahrhundert verdankt sich nicht nur den Fuggern, sondern weiteren führenden Familien und Personen. Konkurrenz und Kooperation unter ihnen führten erst zu den Erfolgen einzelner Unternehmen und der Kommune insgesamt. Letztlich aber muss es heißen: Augsburgs Größe und Glanz war die Leistung aller Augsburgerinnen und Augsburger.
Nach neuesten Erkenntnissen soll Hans Fugger nicht aus Graben eingewandert sein, sondern von anderswo her. Ist das für Augsburg relevant? Schiersner: Die Herkunft des Hans Fugger aus Graben war niemals ein urkundlich abgesichertes Faktum, es war – und ist nach wie vor – eine plausible Hypothese: Alter Grundbesitz, eine (1540 dann niedergeschriebene) mündliche Überlieferung und auch der Rückzug des bankrotten Lukas Fugger vom Reh dorthin sprechen für die Verbindungen zu Graben. Das sind aber, wie man immer schon wusste, keine zwingenden Beweise. Grundbesitz erwerben Hans Fugger und seine Frau beispielsweise schon bald nach ihrer Ankunft in Augsburg auch in Scheppach und Burtenbach, woher auffällig viele Neubürger dieser Zeit stammten. Vielleicht existierten auch dorthin bereits ältere Verbindungen. Dass man einen endgültigen „Beweis“für den Herkunftsort des Hans Fugger findet, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Wie auch immer: Unser Gesamtbild über die Geschichte Augsburgs und der Fugger würde das wohl nicht verändern, und es ist auch kein Problem, das die Forschung heute umtreiben würde.
Wie interessant ist die Familie Fugger heute noch für die Forschung? Schiersner: Der Fuggerforschung geht es primär nicht um Genealogie oder Familienforschung. Dagegen sind die Fugger, auch wegen der fantastischen Archivsituation für weiter gefasste Fragestellungen interessant, zum Beispiel für die Wirtschaftsgeschichte, die Landesgeschichte, aber auch die Adelsgeschichte. Aktuell kooperiert das Fuggerarchiv mit einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Großprojekt, der sogenannten „Resilienzforschung“. Dabei geht es um die Frage, wieso bestimmte Unternehmungen des 16. und 17. Jahrhunderts – darunter auch die Fugger – gegen die enormen ökonomischen Krisen der Zeit widerstandsfähig waren und sich anpassen konnten.
Wie stufen Sie die Verbindung der Fugger mit Augsburg heute ein? Schiersner: Die Rolle der Familie scheint mir nach dem Übergang Augsburgs und der Fuggerherrschaften an das Königreich Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach einer eher ruhigeren Zeit im 18. Jh. eine neue Bedeutung gewonnen zu haben. Etwas Ähnliches kann man dann auch nach dem Zweiten Weltkrieg beobachten. Die Fugger sind in der Stadt als Eigentümer von Liegenschaften nach wie vor verankert. Die drei Linien der Familie, die bis heute das Seniorat der Fuggerschen Stiftungen bilden, sind aber vor allem in der Verwaltung der Stiftungen, allen voran der Fuggerei, aktiv.
Diese Stiftung hat bereits fast 500 Jahre überdauert ...
Schiersner: Die Verantwortung, die sich aus dieser Stiftung Jakob Fuggers ergibt – 2021 feiern die Stiftungen ihr 500. Jubiläum – wird auch heute sehr bewusst und engagiert wahrgenommen. Für die sozialen Belange des heutigen Augsburg, aber auch als Magnet für den Tourismus ist schon dies ein wichtiger Beitrag der Familie für die Stadt.
Interview: Nicole Prestle
Dr. Dietmar Schiersner ist Wissenschaftlicher Leiter des Fugger Archivs in Dil lingen. Er arbeitet als Professor an der Pädagogi schen Hochschule Weingarten.