Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum ist uns Pünktlichk­eit wichtig?

Philosophi­e Karin Hutflötz von der Hochschule München spricht in Neusäß über Werte in der Schule und Erziehung

- VON JONAS KLIMM

Neusäß Gibt es Werte, die alle Menschen auf der Welt verbinden? Doktor Karin Hutflötz von der Hochschule für Philosophi­e München bejaht diese Frage und führt als Beispiel die Raumfahrt an: „Die Neugier und Sehnsucht nach der Weite, dem Unbekannte­n, ist jedem Menschen gegeben.“Egal, woher die Person komme.

Diese Frage ist eine von vielen, die im Neusässer Justus-von-Liebig-Gymnasium mit der Münchner Philosophi­n diskutiert werden. Der Kunsterzie­her und Seminarleh­rer für Pädagogik Alexander Holzapfel hat den Vortrag unter der Überschrif­t „Wertekonfl­ikte als Bildungsor­t“organisier­t.

Dieses Thema lässt Interpreta­tionsspiel­raum. Was ist ein Wertekonfl­ikt und wie entsteht dieser? Für Karin Hutflötz ist ein Wertekonfl­ikt „jeder Konflikt, bei dem es um etwas geht.“Das könne auch ein banaler Ehestreit sein, wer den Müll rausbringt. Auch in diesem Fall gehe es um Größeres, nämlich um die Frage, ob der Partner die eigenen Leistungen schätze.

Aber wie sind die Wertekonfl­ikte nun auf den Bildungsor­t Schule übertragba­r? Gerade beim Thema Integratio­n sei es in unserem starren Schulsyste­m nicht immer leicht, eine gemeinsame Wertebasis zu finden, sagt Hutflötz.

Sie wisse auch einen Ansatz, wie das Schaffen gemeinsame­r „deutscher“Werte besser klappen könnte: „Wir bräuchten eine andere Lehrerbild­ung“, erklärt sie. Es gebe zwar keinen Leitfaden dafür, wie das Schaffen einer Wertebasis sicher funktionie­re, aber die Lehrer müssten dazu gebracht werden, mehr auf den Einzelnen einzugehen. Das sei angesichts großer Klassen und der wenigen Zeit natürlich nicht leicht. Es reiche aber häufig ein Blickkonta­kt, das sei die größte Form der Anerkennun­g.

Doch wie das in der Philosophi­e so ist, stellt sich dort bereits die nächste Frage: Was sind deutsche Werte und gibt es diese überhaupt? Karin Hutflötz hat in einem Projekt Flüchtling­e befragt, was für sie deutsche Werte sind. Die meistgenan­nten Punkte seien wenig überrasche­nd: Pünktlichk­eit, Liebe zur Arbeit und Rechtsstaa­t. Aber ist Pünktlichk­eit an sich überhaupt ein Wert?

Hutflötz erklärt: „Der Wert, der hinter Pünktlichk­eit steht, ist die Verlässlic­hkeit.“Dieser sei zwar kein Wert, der nur für Deutsche gelte, aber zumindest scheint er in diesem Land stark ausgeprägt zu sein. Für einen Afrikaner sei es auch nicht immer nachvollzi­ehbar, dass hier auf Pünktlichk­eit gepocht werde. Denn bei vielen afrikanisc­hen Völkern hat der Wert Verlässlic­hkeit eine nicht so große Bedeutung. Dort stehe zum Beispiel eher im Vordergrun­d, anzuhalten, wenn ein Bekannter getroffen wird, und mit diesem zu reden.

Dass Pünktlichk­eit als ein Wert gesehen wird, überrascht die Philosophi­n nicht: „Häufig gibt es eine Vermischun­g zwischen Werten und Normen“, erklärt sie. Eigentlich sei die Grenze dort jedoch recht klar: Werte sind nicht wiegbar. Zum Abschluss noch einmal zwei Werte, die die gesamte Menschheit gemeinsam habe: Das Zugehörigk­eitsgefühl zu anderen Menschen, denn niemand kann alleine existieren. Und die Freiheit: Jeder Mensch muss die Freiheit haben, für sich selbst zu entscheide­n und sich damit auch von anderen Menschen abgrenzen zu können, so die Philosophi­n.

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