Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Könnte der Angeklagte straffrei bleiben?
● Die Tragödie von Arnstein hat gute Chancen, in die Lehrbücher der Rechtswissenschaften einzugehen – als Beispiel für die sogenannte „poena naturalis“. Dieser lateinische Begriff des Philosophen Immanuel Kant meint, dass jemand durch die Folgen seiner Tat schon genug gestraft ist.
● Das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) sieht im Paragrafen 60 tat sächlich die Möglichkeit vor, dass ein Gericht in derlei tragischen Fällen ei nen Angeklagten zwar schuldig spre chen, auf eine Strafe aber verzichten kann. Wörtlich heißt es: „Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre.“Ein klassisches Beispiel aus dem Jura Studium ist der Landwirt, der mit dem Traktor sein Kind totfährt.
● Dieses Absehen von Strafe passiert sehr selten: 2014 haben deutsche Gerichte nur in 302 Fällen davon Ge brauch gemacht, das sind 0,05 Pro zent aller Schuldsprüche. Die Regelung hat zudem Grenzen. Sie darf nur an gewandt werden, wenn es um höchs tens ein Jahr Freiheitsstrafe geht.
● Im Fall Arnstein ist der Angeklagte durch die Folgen seiner Tat zweifellos schwer getroffen. Tochter und Sohn sind tot. Also ein klarer Fall für einen Strafverzicht? So einfach ist es nicht. Das juristische Problem ist, dass ne ben den eigenen Kindern vier weitere Jugendliche gestorben sind. Kann das Gericht angesichts dieses Leids auf eine Strafe verzichten? (hogs)