Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Amerikaner trifft den Lebensretter aus Mertingen
Medizin Michael Struthmann hat einem Mann aus Atlanta mit seiner Knochenmarkspende praktisch zu einem zweiten Geburtstag verholfen. In den USA ist der 29-Jährige, der zuvor schon einmal potenzieller Spender war, ein gefragter Gast
Mertingen Als Michael Struthmann vor einigen Tagen am Flughafen in Atlanta (USA) angekommen war, da warteten seine Gastgeber schon ganz ungeduldig auf ihn und seinen Freund Christian Völk, der das Dolmetschen übernahm. Lange hatte die amerikanische Familie den Moment herbeigesehnt. Sie wollte endlich den Mann kennenlernen, der dem heute 63-jährigen Gastgeber Charlie Heiron mit einer Knochenmarkspende vor knapp drei Jahren das Leben gerettet hat.
„Mit dieser überschwänglichen Dankbarkeit muss man auch erst mal zurechtkommen. Schließlich ging es die nächsten Tage so weiter, als unter anderem Charlies Kinder, dessen 92-jährige Schwiegermutter und diverse Freunde vorbeikamen, um mich kennenzulernen und sich bei mir zu bedanken“, sagt Struthmann. Er ist jetzt ein Teil der Familie. Dabei habe er doch nur etwas ganz Selbstverständliches getan, findet der Mertinger. In seinem Freundeskreis hätten sich viele typisieren lassen. Anlass dafür sei vor zehn Jahren der Aufruf gewesen, einen Spender für Florian aus Münster zu finden. Der damals Sechsjährige erkrankte an einer seltenen Form des Blutkrebses. Für ihn wurde damals ebenfalls ein Spender gefunden.
Die Wahrscheinlichkeit, den richtigen zu finden, liegt teils bei mehr als eins zu einer Million. Es ist also eine Lotterie, was es für die Betroffenen auch so schwer erträglich macht. Umso erstaunlicher ist, dass Struthmann nun schon zweimal als Spender infrage gekommen ist. „Beim ersten Mal war ich auf dem Weg ins Krankenhaus nach Ulm, als die Mitteilung kam, dass der Patient gestorben ist“, erinnert sich der 29-Jährige.
Als er im Oktober 2014 wieder die Nachricht erhielt, dass er infrage kommt, ging Struthmann zum Hausarzt, um sich Blut abnehmen zu lassen. Das ist nötig, um abzuklären, ob die verschiedenen Werte passen. Gesucht wird idealerweise der genetische Zwilling des Patienten, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass der Körper das Transplantat nicht abstößt. Nach weiteren genaueren Untersuchungen erfolgte die Entnahme des Knochenmarks am 10. Dezember 2014
in Frankfurt am Main. Insgesamt waren es 1,5 Liter, die die Mediziner aus seinen Beckenknochen holten. „Es war schon ziemlich schmerzhaft und ich hatte danach auf jeder Seite 30 Löcher. In solchen Momenten kommen dann schon kurz die Zweifel, ob man sich das ausreichend überlegt hat“, gibt er zu. Da helfe der Gedanke, dass man etwas Gutes tut, enorm, um es auszuhalten, so Struthmann. Sein Vater begleitete ihn damals nach Hessen.
Der sollte entscheiden, wie es im Fall von Komplikationen hätte weitergehen sollen. Drei Wochen war Struthmann danach krankgeschrieben, völlig schmerzfrei war er nach einem dreiviertel Jahr. Für Empfänger Charlie war der 11. Dezem-
ber 2014 ein Glückstag, den er als seinen zweiten Geburtstag bezeichnet. Das Knochenmark muss innerhalb von 24 Stunden transplantiert werden. „Die Ärzte haben ihm davor eine Überlebenschance von 20 Prozent gegeben, wenn er sich für die Spende entscheidet.“Jeden Tag zur Dialyse zu gehen sei für ihn aber keine Option gewesen, erzählte er Struthmann. Also setzte er auf das Risiko – und wurde belohnt. Auf den Bildern vor der Transplantation habe Charlie „furchtbar schlecht“ausgesehen, sagt der Mertinger. Er hat die Fotos beim jetzigen Besuch gesehen.
Wem er es verdankt, dass er noch lebt, wusste Charlie aber zunächst nicht. In Deutschland ist es in den
ersten beiden Jahren nach der Spende untersagt, dass sich Spender und Empfänger kennenlernen. Sie dürfen sich zwar Briefe schreiben, aber die laufen über die Deutsche Knochenmarkspenderdatei. Dabei wird überprüft, ob die Vorgabe eingehalten wird. Als Charlie endlich den Namen hatte, machte er Michael Struthmann beim sozialen Netzwerk Facebook im Internet Anfang dieses Jahres ausfindig. „Sie wollten unbedingt, dass ich sie besuche. Mein Kumpel war dann so nett, hat Überstunden genommen und mich begleitet. Sein Englisch ist besser als meins.“In den zehn Tagen in den USA lernte er aber nicht nur die ganze Familie von Charlie kennen, sondern auch die Ärzte, die das
Knochenmark transplantierten. Die seien sehr interessiert gewesen, wie der Prozess in Deutschland ablaufe und erstaunt, das sich hier so viele Menschen typisieren lassen, berichtet Struthmann. Sie interviewten ihn zudem für die Zeitschrift des Krankenhauses. Geht es nach Familie Heiron, soll Michael Struthmann am besten nächstes Jahr gleich wieder vorbeikommen. Irgendwann soll es auch einen Gegenbesuch geben, haben sie ausgemacht.
Die Erfahrungen, die er in den USA gesammelt hat, bestärken Struthmann in seiner Meinung: „Jeder sollte Blut spenden und sich typisieren lassen. Meiner Meinung nach sollte das für jeden eine Selbstverständlichkeit sein.“