Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die „Mohrenkopf“Tragödie

Zeitgeschi­chte Die jüdische Besitzerin des Gasthauses wurde 1939 zum Verkauf an die Stadt Augsburg gezwungen

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg Das „Augsburg-Album“löst des Öfteren Reaktionen bei Lesern aus. Das war auch bei „Bälle und Feste im Mohrenkopf“der Fall. Es ging dabei um die Geschichte des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Anwesens Predigerbe­rg 9. Es war die Adresse des Gasthofs zum Mohrenkopf und einer Eisenwaren­handlung. Seit 1962 befindet sich auf dem Areal zwischen Predigerbe­rg und Dominikane­rkirche (Römisches Museum) ein Berufsbild­ungszentru­m.

Kurz nach Erscheinen der „Album“-Geschichte konnten die Kunstsamml­ungen einen kleinen Stich mit der Abbildung des „Mohrenkopf­s“um 1860 erwerben. Er zierte den Briefbogen des damaligen Wirtes Johann Friedrich Mußbeck. Dazu passend fand sich eine Einladung von Mußbeck zum „Katharinen-Ball“am 21. November 1858.

Die „Mohrenkopf“-Geschichte kam auch in die Hände des Allgäuer Autors und Filmemache­rs Leo Hiemer. Seine jüngsten Filme: „Heimat unter Strom“, „Daheim sterben die Leut“und „Komm, wir träumen“. Leo Hiemer drehte 1994 den mit mehreren internatio­nalen Preisen ausgezeich­neten Kinofilm „Leni … muss fort“. Dieser Film hat das grausame Schicksal des im März 1943 im KZ Auschwitz-Birkenau ermordeten fünfjährig­en Mädchens Gabriele Schwarz zum Inhalt. Es lebte als Pflegekind bei einer Bauernfami­lie in Stiefenhof­en und war eine Enkelin der Jüdin Anna Schwarz, der einstigen Besitzerin des Anwesens Predigerbe­rg 9 in Augsburg.

Die Geschichte der jüdischen Familie Schwarz ließ den Filmemache­r Leo Hiemer nicht mehr los. Er nahm 2008 die Recherchen wieder auf. Jetzt liegen das Manuskript für ein Buch, Dokumente und Bilder für eine Ausstellun­g vor. Seine Nachforsch­ungen ergaben, dass der aus Steppach stammende Jude Joseph L. Schwarz 1891 das Areal Predigerbe­rg 9 (damalige Anschrift: Litera A 72/73) kaufte. Der Kaufmann richtete in einem Teil des Doppelanwe­sens im Erdgeschos­s eine Eisenwaren­handlung ein. Seine Söhne Carl und Heinrich Schwarz führten sie weiter. Die Wirte des Gasthofs zum Mohrenkopf waren in der Folgezeit nur mehr Pächter.

„1939 erwarb die Stadt Augsburg die Gebäude von der Witwe Anna Schwarz zum Einheitswe­rt“, heißt es in Leo Hiemers Buchmanusk­ript. Anna Schwarz war die Witwe von Carl Schwarz, der 1926 verstorben war. 1894 hatten sie geheiratet. Drei Töchter – Emilie, Johanna und Charlotte – kamen zur Welt. Nach dem Hausverkau­f nahm sich Anna Schwarz am 20. September 1939 das Leben.

Als Jüdin durfte sie nur über wenige hundert Reichsmark verfügen. Das reichte kaum, um künftig ihr zu bestreiten, und schon gar nicht, um ihre Töchter Johanna und Charlotte bei der verzweifel­ten Suche nach einer Möglichkei­t zur Emigration aus Nazi-Deutschlan­d finanziell zu unterstütz­en. Beide wurden 1941 in ein Konzentrat­ionslager deportiert und 1942 ermordet. Das Schicksal von Charlottes 1937 geborener Tochter Gabriele bildete für Leo Hiemer den Stoff für seinen Film „Leni … muss fort“.

Die Wiedergutm­achungsbeh­örde stellte nach dem Zweiten Weltkrieg fest, es habe sich 1939 um keinen normalen Kaufvertra­g gehandelt, sondern um eine Entziehung jüdischen Vermögens im Rahmen der Arisierung­spolitik der Nationalso­zialisten. Die Stadt Augsburg einigte sich daraufhin mit den Erben auf eine Entschädig­ung für den Zwangsverk­auf. 1939 hatte Anna Schwarz’ Tochter Johanna noch eine Postkarte vom „Mohrenkopf“versandt, auf der sie ihrem Sohn René schrieb, er werde dereinst „den ollen Mohrenkopf“erben. Die Karte trägt den Aufdruck: „Historisch­e Gaststätte zum Mohrenkopf / Augsburg, Predigerbe­rg A 72-73. In diesen Räumen feierte Elias Holl, der berühmte Baumeister, Erbauer des Augsburger Rathauses, im Jahre 1595 seine Hochzeit mit Maria Burkhartin.“

In einer Holl-Biografie heißt es dazu: „Am 2. Mai 1595 fand die Trauung mit Maria Burkhart in St. Anna statt. Das Hochzeitsm­ahl hielt man bei Martin Kollinger. Fast ein halbes Jahrhunder­t vorher hatte Hans Holl (Vater von Elias Holl) dessen großes Wirtshaus gebaut, mit gewölbten Kellern, einem großen Hof und einem feinen Garten, nicht weit vom Wohnhaus des jungen Brautpaars entfernt. Es war 1554 der erste große Auftrag des jungen Meisters gewesen.“Elias Holl lebte bis 1618 im Elternhaus an der Ecke Bäckergass­e/Werbhausga­sse, in dem er 1573 geboren war.

Der „Mohrenkopf“war bis zu seiner Zerstörung 1944 in die Häuserzeil­e an der Nordseite des Predigerbe­rgs eingefügt. Gebäude des einstigen Dominikane­rklosters schlossen sich in Richtung Dominikane­rgasse an. Darin war jahrzehnte­lang die städtische Armenpfleg­e untergebra­cht. Fotos und BildpostLe­ben karten überliefer­n die bauliche Situation. Die einstigen Klostergeb­äude wurden im Februar 1944 teilzerstö­rt. Nur ein Rest unmittelba­r an der Kirche blieb bewohnbar. Dort steht jetzt die Turnhalle des Berufsbild­ungszentru­ms.

Völlig zerbombt wurden alle Bauten des seit 1939 in Stadtbesit­z befindlich­en Anwesens Predigerbe­rg 9: der „Mohrenkopf“, die seit 1926 von Josef Stangl betriebene Eisenwaren­handlung und ein zugehörige­s Rückgebäud­e mit Mietwohnun­gen. Nach der Trümmerräu­mung kaufte die Stadt die leeren Flächen drumherum und errichtete 1960 bis 1962 auf dem zu einem einzigen Grundstück vereinten großen Areal ein Berufsbild­ungszentru­m.

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Bei uns im Internet

Wer frühere Folgen des Augsburg Al bums nachlesen will, kann das unter www.augsburger allgemeine.de/ augsburg album tun.

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Fotos: Sammlung Häußler Sein Doppelanwe­sen am Predigerbe­rg ließ der damalige Wirt und Besitzer des Gasthofs zum Mohrenkopf, Johann Friedrich Muß beck, um 1860 auf seinem Briefbogen abbilden.
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Das Berufsbild­ungszentru­m am Predi gerberg südlich der ehemaligen Domini kanerkirch­e wurde 1960 bis 1962 auf dem Grund von elf zerstörten Häusern erbaut.

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