Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie Noah Klieger Auschwitz überlebte
Geschichte Noah Klieger erzählt Neusässer Gymnasiasten aus der Zeit im Konzentrationslager. Still hören die Schüler zu
Noah Klieger war im Dritten Reich Insasse des Konzentrationslagers. Am Gymnasium in Neusäß spricht er über die Gräueltaten der NSZeit, die er hautnah erfahren hat. Der Vortrag kam bei den Schülern an. Während er erzählte, herrschte absolute Ruhe.
Noah Klieger spricht ruhig und konzentriert. Immer wieder macht der 91-Jährige Pausen. Vielleicht um seine Gedanken und Erinnerungen zu ordnen, vielleicht aber auch, um seinem Publikum Zeit zu geben, das Gehörte zu verarbeiten. Klieger hat als Kind und junger Mann den Zweiten Weltkrieg und als Jude den Holocaust miterlebt. Er wurde verfolgt, musste fliehen, kam nach Auschwitz und hat das Vernichtungslager überlebt. Allerdings nur „weil ich der Einzige war, der je das Wort an Josef Mengele gerichtet hat“. Der Lagerarzt war für seine grausamen Experimente bekannt. Auch diese Episode erzählt er den Schülern des Justus-von-LiebigGymnasiums in Neusäß.
Still und konzentriert hören die Schüler der neunten Klasse zu. Die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich stehe im Lehrplan für die Jahrgangsstufe, erklärt Lehrer Peter Dempf. Noah Kliegers Vortrag holt die Geschichte hautnah ins Schulgebäude. Klieger macht die Vergangenheit greifbar. Das Dritte Reich ist kein abstrakter Buchtext mehr, sondern eine konkrete Erfahrung. Der Überlebende hat den Großteil seines Lebens als Journalist gearbeitet. Seine Erzählungen erinnern teilweise mehr an einen Zeitungstext als an eine erlebte Katastrophe. In kleinen Episoden schweift er ab. Das macht seine Erzählung authentisch. Er verliert nie den roten Faden. Kliegers Erzählung berührt, obwohl er wenig emotional spricht.
„Immer wenn ich gefragt werden, wie ich nach Auschwitz gekommen bin, sage ich: mit der Bahn“, erklärt Klieger. Ein Scherz, der sicher geschmacklos wäre, wenn ihn ein anderer gemacht hätte. Natürlich ist sein Weg ins Vernichtungslager komplizierter. Nach der Flucht nach Belgien schlossen sich Kliegers Vater und auch er selbst schnell Widerstandsgruppen an. Die Jugendorganisation hatte es sich zur Aufgabe gemacht, junge Juden durch Frankreich in die neutrale Schweiz zu schmuggeln. Das ging lange gut, bis Noah Klieger selbst fliehen wollte. In einem Café wurde er von der Gestapo aufgegriffen. Bei seiner Verhaftung „habe ich ihnen gesagt, was ich von ihnen, von ihrem Land, ihrem Führer halte“. Er hätte geglaubt, dass die Begegnung das Ende ist, so Klieger.
Das Vernichtungslager Auschwitz überlebte Noah Klieger nur knapp. Eine Lungenentzündung und eine „Selektion“wären fast sein Ende gewesen. Lagerarzt Josef Mengele sortierte die aus, die nicht mehr arbeiten konnten. „Ich war ein Skelett“, sagt Klieger. Deshalb wählte Mengele ihn für die Tötung aus. „Jetzt bist du fertig, es ist um mit dir.“Das habe er sich gedacht, sagt Klieger. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Deshalb hat er Mengele direkt angesprochen. Er könne noch arbeiten, außerdem sei sein Vater eine bekannte Persönlichkeit in Straßburg, so seine Behauptung. „Ich wollte einfach irgendwas sagen“, erklärt Noah Klieger. Der Lagerarzt übergab ihn schließlich in die Obhut eines jüdischen Häftlings, der als Arzt im Lager-Lazarett arbeitete. Um seine Geschichte noch anschaulicher zu gestalten, zeigt Klieger die Nummer, die ihm in Auschwitz auf den Arm tätowiert wurde. Jeder Gefangene habe eine derartige Nummer getragen, damit sei es leichter gewesen, die Leichen zu identifizieren, sagt er.
Das bewegte Leben des Noah Klieger sollte nicht im Vernichtungslager Auschwitz enden. Nach seiner Befreiung organisierte er zusammen mit anderen die „damals illegale“Auswanderung ins britisch besetzte Palästina. Für ihn schon immer: „Eretz Israel“. Er war mitverantwortlich für die Überfahrt von bis zu 4700 Juden auf der „Exodus“. Die Insassen des Schiffes, das die offene Konfrontation mit der englischen Marine riskierte, sollte weltweit für Schlagzeilen sogen. In Kliegers Erinnerung hat sich eine Szene besonders eingebrannt. Als die „Exodus“vorübergehend in den britisch kontrollierten Hafen von Haifa einlief, warteten schon Tausende Menschen hinter den Gittern der Hafenabsperrung. Die blauweiße Flagge, die heute Symbol des Staates Israel ist, wurde gehisst und die zionistische Hymne wurde angestimmt. „Wenn ich nicht damals schon Zionist gewesen wäre, wäre ich spätestens dann einer geworden.“Noah Klieger ist einer von wenigen Überlebenden, die ihre Geschichte noch erzählen können. Immer wieder betont er auch in seinem Vortrag, dass er aus seinem Umfeld der Letzte sei, der noch am Leben ist. Es ist offenkundig, dass es ihm ein Anliegen ist, seine Geschichte noch so oft wie möglich zu erzählen.
Eine Sache, die Klieger nur am Rande erwähnt, hat symbolischen Charakter: Die Verwaltung seines Geburtsorts Straßburg sei aktuell auf der Suche nach einer Straße, die sie nach ihm benennen könnte. Auf eine Anfrage habe er gesagt: „Ich brauche keine Straße.“Straßburgs Oberbürgermeister habe entgegnet: „Aber wir brauchen eine Straße mit deinem Namen.“
Er kann seine Geschichte noch erzählen