Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Jubel für so viel Ungleichheit
Premiere Die Münchner Staatsoper wagt sich an Puccinis „Trittico“, ein Dreiteiler, der einen klaren Sieger hat
München Passt das zusammen? Ein tödliches Eifersuchtsdrama unter Flussschiffern; ein Melodram um eine unfreiwillig ins Kloster gebrachte Kindsmutter; eine Komödie, die um einen listigen Erbschleicher kreist – kann das gut gehen, drei so verschiedene Geschichten an einem Abend zu präsentieren? Noch dazu, wo nicht nur der Ort ein jeweils anderer ist, sondern auch die Handlungszeiten weit auseinander liegen – Paris zu Anfang des 20., Italien am Ende des 17. Jahrhunderts, sowie Florenz anno 1299?
Seit 99 Jahren, seit der Uraufführung von Giacomo Puccinis OpernEinaktern „Il Tabarro“, „Suor Angelica“und „Gianni Schicchi“, beschäftigt diese Frage Interpreten wie Publikum. Meist überwogen die Bedenken: Nein, dieses „Triptychon“ist zu ungleich geraten, um auf der Bühne jenen Sog zu entwickeln, den man von Werken wie „La Bohème“oder „Tosca“kennt. Weshalb die „Trittico“-Opern unter Puccinis reifen Werken dann auch zu denjenigen gehören, die am seltensten aufgeführt werden, eine harte Nuss selbst für das sonst gar nicht schreckhafte Regietheater. Auch die Bayerische Staatsoper hat fast sechs Jahrzehnte verstreichen lassen, bis sie das „Trittico“jetzt wieder ins Programm hob. Nun hat die Holländerin Lotte de Beer die drei Opern neu in Szene gesetzt.
Die zentrale Frage für die Regie lautet beim „Trittico“: Soll man versuchen, für diese drei Disparitäten, das Drama, das Melodram und die Komödie, ein einheitliches Konzept zu entwickeln? Lotte de Beer hat sich dagegen entschieden. Im Gegenteil, sie betont den heterogenen Charakter der Stücke, argumentiert, gerade hier zeige Puccini die verschiedenen und ewig gleichen Facetten des Menschseins, unabhängig von Ort und Zeit. Keine übergestülpte Einheitsszene also an der Staatsoper, sondern Differenz, was sich visuell am markantesten in den Kostümen (Jorine van Beek) niederschlägt: dezent der historischen Zeit entsprechend in den beiden ersten Opern, herrlich prall und wie aus einem Renaissance-Gemälde entsprungen, ist das Stoffgebausche bei „Gianni Schicchi“.
Eines jedoch verbindet die drei Tableaus in dieser Neuinszenierung: das Bühnenbild von Peter Hammer. Ein quadratischer, sich nach hinten verjüngender Trichter, der sich in seiner Materialität ausnimmt wie das Innere eines Frachtflugzeugs, jedoch, nach dem Wort der Regisseurin, einen „Zeittunnel“darstellen soll, aus dem heraus sich die archetypischen Geschehnisse entwickeln sollen. Der selbe Gedanke mag Lotte de Beer vorschweben, wenn sie den hinteren Teil des Trichters einmal pro Stück rotieren lässt und darin jeweils ein Toter – jede der Opern hat eine solche Figur – eine Kreisbewegung beschreibt.
Merkwürdigerweise ist das Drama „Il tabarro“, benannt nach dem „Mantel“des Schiffskapitäns Michele, derjenige Teil des Münchner Abends, der am wenigsten Spannung entwickelt. Zwar ist die Personenregie minutiös, doch so recht will sich zwischen den Protagonisten kein Konflikt entwickeln. Wolfgang Koch (Michele) fehlt der Tod bringende Jähzorn, Eva-Maria Westbroek (Giorgetta) die latente Glut der allzu jung verheirateten Frau, Yoonghoon Lee (Luigi) das Animalische des Liebhabers. Im Gegenzug schwingt sich die meist als katholisch-langweilig verschriene „Schwester Angelica“zum packenden Seelendrama auf, Verdienst der sängerisch wie darstellerisch großartigen Ermonela Jaho in der Titelpartie – aber auch von Michaela Schuster als eisige Fürstinnen-Tante. Bei ihnen wird das Aufeinandertreffen zu dem, was es ist: eines der packendsten Psychoduelle der Opernliteratur. „Gianni Schicchi“schließlich: Umwerfend, wie sämtliche Figuren, die geldgeilen Hinterbliebenen eines toten Patriarchen, hier auf ihr komödiantisches Potential hin abgeklopft sind und wie spielfreudig das umgesetzt wird vom lustvoll agierenden Ensemble mit einem in jeder Hinsicht imposanten Ambrogio Maestri (Schicchi) vorweg. Jubel am Ende des Abends, wohinein sich kein einziges Buh mischte – seltsam bei einer im Grunde konventionellen Regie, die doch sonst vom Münchner (Teil-)Publikum gerne gestäupt wird.
Und Kirill Petrenko? Man wartet ja geradezu auf den Tag, dass diesem Dirigenten-Überflieger mal etwas nicht gelingt. Doch selbst, wenn er das Orchester zu Beginn des „Tabarro“etwas zu füllig abmischt gegenüber den Sängern, ist auch Puccini aus Petrenkos nimmermüd-differenzierenden Händen eine Wucht: transparent, leidenschaftlich, packend. Wie schön, dass München ihn noch zwei Jahre hat, bis er sich nach Berlin verabschiedet.
O
Karten Wieder für Aufführungen im Januar (1., 14., 16.). Livestream am 23. Dezember (www.staatsoper.tv).